Umstrittener Auftritt beim "Tag der Demokratie"
Wie ein Pfarrer zum Politikum wurde

Ricklef Münnich bei der Demonstration am 6. Februar in Weimar  | Foto: Screenshot: YouTube
  • Ricklef Münnich bei der Demonstration am 6. Februar in Weimar
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Es geht um Demokratieverständnis. Es geht um Holocaust-Gedenken. Und es geht um die Frage, ob Kirchenvertreter, aktive oder im Ruhestand befindliche, bei Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen auftreten sollten.

Von Paul-Philipp Braun und Willi Wild

Rückblick: Anlässlich des "Tages der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit" am 6. Februar wird auf dem Weimarer Theaterplatz eine Kundgebung angekündigt. Organisiert vom Verein "Bürger für Deutschland", sollen dort unter anderen der Weimarer Unternehmer Clarsen Ratz und Rechtsanwalt Ralf Ludwig auftreten. Ludwig spricht dieser Tage immer wieder auf Demonstrationen, die sich gegen die Corona-Schutzmaßnahmen richten, bezeichnet sich auf Twitter als "Querdenkeranwalt". Was lokalen Zeitungen ein knappes Jahr nach dem Ausbruch der Pandemie eigentlich nur noch eine Randnotiz wert ist, entwickelt sich zum innerkirchlichen Disput. Denn auch der Erfurter Pfarrer im Ruhestand Ricklef Münnich steht auf der Rednerliste.

Seit Jahrzehnten engagiert sich Münnich aktiv für den jüdisch-christlichen Dialog. Er lebte zwei Jahre in Israel, hat nachbiblisches Judentum studiert und organisiert Reisen ins Heilige Land. Bis zu seinem Rücktritt am 19. Februar war er Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Kirche und Judentum. Als Studentenpfarrer in Weimar organisierte der umtriebige Theologe 1994 eine Demonstration gegen Menschenrechtsverletzungen in China, beim Staatsbesuch des chinesischen Ministerpräsidenten Li Peng im Goethehaus in Weimar. Darauf verwies er auch jetzt in seiner Rede auf dem Theaterplatz. Als Gemeindepfarrer in Erfurt befürwortete er die von Protesten begleitete Planung der Ahmadiyya-Gemeinde zum Bau einer Moschee in Erfurt-Marbach, im Sinne des Grundrechts auf Religionsfreiheit.

Trotz seiner unbestrittenen Verdienste um den Dialog der Weltreligionen distanzierte sich der Förderverein für jüdisch-israelische Kultur in Thüringen von ihm, noch vor Münnichs Auftritt bei der Weimarer Demonstration. In einer Mitteilung erklärt der Vorsitzende Hubert Nekola, dass die Gedanken des ehemaligen Vorstandsmitgliedes Münnich eine unverantwortliche "Inszenierung im Querdenkermilieu" seien. Münnich weist die Vorwürfe zurück.

Am 6. Februar tritt er wie geplant auf. Rund 150 Menschen versammeln sich auf einem abgegrenzten Areal des Theaterplatzes, unter Beachtung der Hygienevorschriften. Ein Mitschnitt der Veranstaltung, auch die Rede Münnichs, ist auf der Videoplattform Youtube zu finden (t1p.de/Corona-Demo-Weimar – ab 1:18:00). Darin ruft er zur Bekämpfung des Corona-Virus auf. Und er kritisiert die Kontaktbeschränkungen als "nicht hinnehmbare Einschränkung unserer Grundrechte". Münnich mahnt ein "kluges, rücksichtsvolles Verhalten und gesunden Menschenverstand" an.

Nach der gut zweistündigen Kundgebung folgt der zweite Teil der Veranstaltung. Einige der Demonstrationsteilnehmer ziehen auf den Weimarer Buchenwaldplatz, legen dort Kränze und Gebinde nieder, die unter anderem die Aufschrift "Im Gedenken der Opfer des Nationalsozialismus und Opfer der totalisierenden Diktatur" tragen. Die Gedenkstätte Buchenwald wirft den Veranstaltern daraufhin einen Narrativ der "Corona-Diktatur" und Geschichtsrelativismus vor, berichtet davon, dass auch Neonazis teilnahmen. Münnich erklärt gegenüber der Kirchenzeitung: "Ich habe keine Neonazis gesehen. Niemand hat sie auf dem Veranstaltungsgelände gesehen. Es gab weder Fahnen noch Transparente und auch keine Zwischenrufe." Auch den Vorwurf des Geschichtsrelativismus will er nicht gelten lassen. Am Montag nach der Kundgebung sorgt eine Stellungnahme der Jüdischen Landesgemeinde Thüringens für erneutes Aufsehen. Der Vorsitzende, Reinhard Schramm, bezeichnet die "Bürger für Deutschland" darin als Querdenker, verbittet sich den Vergleich einer vermeintlichen Corona-Diktatur mit der NS-Zeit. Nach Münnichs Aussagen habe die Demonstration nichts mit der „Querdenker“-Bewegung zu tun. "Kann es sein, dass jegliches Anders-denken heute von vornherein ein ›Querdenken‹ im Sinne einer ›Corona-Leugnung‹ ist? Das möchte ich nicht annehmen", so der Pfarrer.

Mittlerweile beschäftigte sich auch die Kirchenleitung der EKM mit dem Auftritt des Pfarrers. Die Kirchenzeitung erhält auf Nachfrage eine kurze Erklärung. Darin heißt es, dass Propst Christian Stawenow, Regionalbischof des Sprengels Eisenach-Erfurt, mit Münnich ein Gespräch zum Sachverhalt führen wolle, und weiter: "Werden bei Demonstrationen Vergleiche der heutigen Einschränkungen unter Pandemiebedingungen mit der Nazidiktatur gezogen, löst das bei der EKM Entsetzen aus. Darin sieht die EKM eine unerträgliche Verhöhnung der Opfer der Nazidiktatur."

Der Kirchenkreis Erfurt, in dem Ricklef Münnich tätig war und heute noch wohnt, möchte sich zur Thematik nicht äußern, wohl aber Weimars Superintendent Henrich Herbst. In seinem "Wort zum Sonntag" in der Thüringischen Landeszeitung schreibt Herbst unter anderem: "Die Formulierung ›Opfer totalisierender Diktatur‹ (Text auf einer Schleife am Kranz, Anm. d. Red.) beschreibt einen gegenwärtigen Zustand. Aber es gibt gegenwärtig bei uns keine Diktatur. Schon gar keine, die mit der des Nationalsozialismus vergleichbar wäre. Gerade in Weimar müssen wir widersprechen, wenn das Leid der Menschen in Buchenwald in unsachgemäßer Weise instrumentalisiert wird.“
Münnich hingegen hält Herbsts Ableitung für konstruiert. Es handele sich nicht um eine Beschreibung aktueller Zustände in Deutschland. "Gemeint war, diejenigen Demokraten zu ehren, die nach 1933 und dann auch noch nach 1945 verfolgt und inhaftiert und in Buchenwald zu Tode kamen", erklärte er. Zudem habe er den Schleifentext vorher nicht gekannt. Der Pfarrer sieht sich zu Unrecht in eine Ecke gestellt. Er habe auch weiterhin vor, für Menschenrechte einzutreten und gegen Grundrechtsverletzungen zu protestieren.

Sein Auftritt zieht inzwischen weitere Kreise. In der vergangenen Woche sei in der Arbeitsgruppe „Tora ist Leben“ über ihn als "Belastung" für das Projekt diskutiert worden, so Münnich. Daraufhin habe er sich auch aus der Arbeitsgruppe zurückgezogen. Münnich ist einer der Initiatoren der Aktion "Tora ist Leben" im Themenjahr „900 Jahre jüdisches Leben in Thüringen“, bei der eine neue Torarolle für die Jüdische Landsgemeinde Thüringen als Geschenk der Kirchen entstehen soll.

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Autor:

Paul-Philipp Braun

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