Stille
Schwer zu ertragen und dennoch wohltuend

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Eins steht fest: Dieser Advent wird anders. In normalen Jahren wünschen sich viele Menschen ruhigere Wochen vor Weihnachten. Nun fürchtet sich mancher vor zu viel Stille. Dabei lässt sie sich nutzen.

Von Paula Konersmann

Im Wald oder am Meer, in der Kirche oder beim Yoga eine Wohltat – doch Stille kann auch provozieren. Alljährlich gibt es Streit um das Tanzverbot am Karfreitag, neben dem Volkstrauertag und dem Totensonntag der einzige bundesweite stille Feiertag. In einer zunehmend säkular geprägten Gesellschaft sehen viele nicht mehr ein, wegen eines Glaubens, den sie nicht teilen, auf Vergnügungen zu verzichten – und sei es nur für einen Tag. In den vergangenen Monaten waren nun alle zum Verzicht gezwungen: auf Reisen oder Konzertbesuche, auf Existenzielles wie die Möglichkeit zum Broterwerb.
Im Hinblick auf die Feiertage fürchten manche eine äußerst Stille Nacht, in der es nicht das "traute hochheilige Paar" ist, das "einsam wacht", sondern man selbst, ohne vertrautes Weihnachtsritual und ohne die Menschen, die sonst zu diesem Fest dazugehören. Vielleicht macht die Stille deshalb unruhig, weil sie an den Tod erinnert, an die "ewige Ruhe". Wenn der Lärm der Welt nachlässt, kann aber auch Raum für Neues entstehen.
Der Fotograf Michael Martin, der seit Jahrzehnten die Wüsten der Welt bereist, ist in gewisser Weise zum Experten für Stille geworden. Die Wüste sei "auf eine angenehme Art und Weise ›leer‹ und still", sagt er. "Sie ist Erholung pur für die Sinne." Zudem bringe es der Mangel an Reizen mit sich, dass Besucher die wenigen Sinneseindrücke, die es doch gebe, stärker wahrnähmen. Sich darauf einzulassen, ist nicht einfach. Der Reiseschriftsteller Patrick Leigh Fermor beschreibt in seinem Buch "Reise in die Stille" seinen Besuch in einem der ältesten Benediktinerkloster Frankreichs, St. Wandrille. Er schildert innere Unruhe, ein Gefühl von Verlorenheit und unaussprechlicher Einsamkeit während der immergleichen Tage. Doch nach einer Weile, so Fermor, erreiche man "einen in der Welt dort draußen unvorstellbaren Zustand inneren Friedens".
Auch Kerstin-Marie Berretz macht sich derzeit Gedanken über die stade, also stille Zeit, wie der Advent auch genannt wird. Sie lebt seit zwölf Jahren im Orden der Arenberger Dominikanerinnen – und sieht in der möglicherweise bevorstehenden Stille auch Chancen. "Es gilt nach Auswegen und Alternativen zu suchen, die einem selbst gut tun und zugleich niemanden gesundheitlich gefährden", erklärt sie. Dazu könne gehören, gemeinsam mit anderen zur selben Zeit, wenn auch an getrennten Orten, zu beten oder sich mit Tee und Plätzchen im Video-Chat zu begegnen. Schon der Apostel Paulus habe die Situation gekannt, weit weg von denen zu sein, die ihm am Herzen lagen, sagt die Ordensschwester. Er habe in Briefen ausgedrückt, wie sehr die lieben Menschen ihm fehlten.
Selbstgewählte Stille kann die Möglichkeit bieten, Abstand zum Alltag zu schaffen, neue Kräfte zu sammeln und sich auf das zu besinnen, was wirklich wichtig ist.

(kna)

Autor:

Online-Redaktion

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