Plötzlich hat alles einen Namen

Foto: neukirchener-verlag.de

Was passiert eigentlich, wenn wir sprechen lernen? Für die meisten gesunden Menschen stellt sich diese Frage nie. Wer hören und sehen kann, lernt fast von selbst in jungen Jahren seine Muttersprache.

Von Albrecht Schödl

Plötzlich hat alles einen Namen. Schritt für Schritt entdecken wir mehr und mehr die Welt. Wir können uns ausdrücken und sagen, was wir denken und fühlen. Wir können hören, was andere zu uns sagen. Und wir können den Dingen um uns herum einen Namen geben.

Wie anders ist das für Menschen, die nicht sehen und nicht hören können! Die Welt um sie herum bleibt dunkel, sie bekommen nur tastend und riechend etwas mit. Und oft fühlen sie sich nicht verstanden.

Dagmar Petrick erzählt in ihrem neuen Jugendbuch von der Kindheit der taubblinden Helen Keller (1880 bis 1968), die zu einer der bekanntesten Schriftstellerinnen Amerikas werden sollte. Als erwachsene Frau ermutigte Keller weltweit ausgegrenzte und benachteiligte Menschen, die Hoffnung nicht aufzugeben und einen Weg aus der Dunkelheit zu finden. Weil es ihr gelang, die Grenzen ihrer körperlichen Beeinträchtigungen zu überwinden, konnte sie zur einflussreichen Sprecherin für Blinde und Taube werden.

Die Autorin erzählt aus der Perspektive von Martha, wie es bei der knapp siebenjährigen Helen zum entscheidenden Durchbruch in die Welt der Namen und Worte kam. Martha ist die Tochter der schwarzen Köchin und wird deshalb weder gesehen noch gehört. Sie ist der weißen Helen als Spielgefährtin und Aufpasserin zur Seite gestellt, um jeden ihrer Schritte zu begleiten. Helen kämpft seit einer lebensgefährlichen Krankheit mit den großen Handicaps, weder sehen, hören noch sprechen zu können.

Letzte Hoffnung ist die Ankunft einer Lehrerin, die auf Taubblinde spezialisiert ist. Es ist ein schwerer Weg für die Lehrerin, Helen die Tür zum Geheimnis der Wörter zu öffnen. Martha bekommt jeden Versuch mit. Spannend wird geschildert, wie mühsam dieser Weg aus der Dunkelheit ist.

Doch dann geschieht für Helen der Durchbruch zu neuen Horizonten an einem Tag, der sich sogar datieren lässt: „Plötzlich hat alles einen Namen. Die Welt ist nicht mehr nur eine Form, die Helen mit den Fingerspitzen befühlt. Sie hat Bedeutung. Es ist, als würden sämtliche Dinge zum Leben erwachen, lebendig sein. Bestimmt war es so, als Adam das erste Mal im Garten Eden spazieren ging.“

Die schwere, aber zugleich bahnbrechende „Neugeburt“ der heranwachsende Taubblinden wird von der Autorin mit einem Ende mit Ausblick versehen. Die jungen Leserinnen und Leser erfahren abschließend, wie der Weg der jungen Helen weiterging und wie sich Menschen auch ohne Worte und ohne Schreibschrift verständigen können. In allem ein spannendes Jugendbuch, das hoffnungsvolle Einblicke in die Welt eingeschränkter Menschen ermöglicht.

Der Autor ist Pfarrer am Christus-Pavillon im Kloster Volkenroda.

Petrick, Dagmar: Martha, Helen und der Weg aus der Dunkelheit, Neukirchener, 269 S., ISBN 978-3-7615-6816-3; 15,00 Euro 

Autor:

Online-Redaktion

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