Weihnachtsmarkt-Anschlag
Wie Zeugen im Prozess begleitet werden
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Der Prozess um den Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt 2024 hat begonnen. In den ersten Verhandlungstagen am Landgericht zeigte der angeklagte Amokfahrer keinerlei Reue. "Für die Betroffenen war das schwer zu ertragen, viele fanden es erschreckend und schrecklich", berichtet Doreen Rosenbaum. Die Sozialpädagogin mit Zusatzausbildung in psychosozialer Prozessbegleitung koordiniert die Zeugenbetreuung in dem Mammutprozess mit bislang allein knapp 180 betroffenen Nebenklägern.
Von Karin Wollschläger
"Wir sind die, die sich um den seelischen Zustand der Zeugen kümmern und versuchen, sie zu stabilisieren", beschreibt Rosenbaum die Aufgabe ihres Teams aus 33 Kolleginnen und Kollegen.
"Er hat anfangs völlig unzusammenhängend, teils wirr von Verschwörungstheorien und Paranoia erzählt, das hat viele zusätzlich frustriert", erzählt Rosenbaum. Einige Zeugen hätten zwischenzeitlich auf den Saal verlassen. "Wir gehen dann mit, sprechen mit ihnen, machen teils Atem- und Entspannungsübungen. Wir klären noch mal rechtlich auf, auch was die Angeklagten-Rechte sind. Aber wir sagen ihnen auch klar: Sie müssen das nicht ertragen, sie können jederzeit rausgehen." Derzeit sei besonders frustrierend für die Betroffenen, dass sich für sie das Motiv nicht kläre.
Bei der Tat am 20. Dezember vergangenen Jahres kamen sechs Menschen ums Leben, mehr als 300 wurden teils schwer verletzt. "Die Zeugen, mit denen wir bereits Kontakt hatten, sind teils wahnsinnig aufgeregt. Sie treiben verschiedene Ängste um. Erstmals dem Täter ins Gesicht zu sehen...", erzählt die 52-Jährige, die schon Zeugenbetreuerin im Prozess um den Halle-Attentäter war, der 2019 versucht hatte, ein Blutbad in einer Synagoge anzurichten. "Die Begegnung mit dem Täter ist für viele ein sehr beklemmendes Gefühl. Viele haben auch Angst, dass er jetzt wieder irgendwas machen könnte."
Angeklagter mit Hand- und Fußfesseln
Rosenbaum erläutert Zeugen die hohen Sicherheitsvorkehrungen im Saal: "Der Angeklagte sitzt in einer schusssicheren Kabine und wird von einer Spezialeinheit bewacht. Aber bei den Betroffenen gibt es trotzdem große Restzweifel." Hier komme es auf ein behutsames Heranführen an, wozu eine Vorabbesichtigung des Gerichtssaals gehört.
Ein spezieller Moment, wie Rosenbaum berichtet, denn allein der Saal misst 60 mal 35 Meter. Der Verhandlungsort wurde in Leichtbauweise eigens für diesen Prozess gebaut, um genug Platz für alle Beteiligten zu haben. Im Saal gibt es je 100 Plätze für Presse und für Zuschauer sowie 450 Plätze für die Nebenklage. Sachsen-Anhalts Justizministerin Franziska Weidinger (CDU) erwartet eines der größten Strafverfahren der deutschen Nachkriegsgeschichte.
"Vielen Zeugen wird die Dimension des Ganzen bei der Besichtigung noch mal so richtig bewusst, und manchen macht das dann auch Angst", erzählt Rosenbaum. "Für die sind auch die zu erwartenden Menschenmassen eine enorme Belastung. Manche haben durch die Tat soziale Phobien oder Klaustrophobie entwickelt - Belastungsstörungen, die immer noch vorhanden sind."
Hilfsangebot für jeden Zeugen
Wer als Zeuge zum Prozess geladen wird, bekommt gleichzeitig die Information, dass es eine Zeugenbetreuung gibt. Manche melden sich dann direkt bei Rosenbaum und ihrem Team, andere erst im Prozess. In Vorgesprächen hört sich Rosenbaum die Fragen und Ängste an, auch um später gegebenenfalls die Richter zu sensibilisieren. "Dann kläre ich natürlich auch auf, was die Rechte und Pflichten von Zeugen sind", sagt Rosenbaum. Sie hat eine ruhige und klare Art. "Ich erläutere die Abläufe, wer wo sitzt, wie so eine Verhandlung und Zeugenvernehmung abläuft."
Dazu gehört auch die Info, dass der Angeklagte den Zeugen Fragen stellen darf, wenn sie im Zeugenstand sitzen. "Das wissen nicht alle und sagen dann: 'Ich will das nicht!' Dann erkläre ich ihnen, dass es zu seinen Rechten gehört. Er aber natürlich nicht mit irgendwelchen Kommentaren die Verhandlung stören darf, und dass der Richter das dann auch unterbindet."
Berühren ist tabu
In den Zeugenstand während der Verhandlung müssen die Zeugen nicht allein. Rosenbaum oder jemand aus ihrem Team sitzt direkt daneben. "Wer möchte, bekommt Hilfsmittel von uns zum Stressabbau, etwa Akupressurringe oder irgendwas zum Knautschen." Eines ist allerdings während der Zeugenbefragung für die Zeugenbegleiter tabu: "Keine Berührung, kein Streicheln oder Handauflegen - auch wenn der Zeuge zu weinen beginnt. Denn das könnte eine suggestive Wirkung haben und unzulässig die Aussage beeinflussen."
Bis Mitte März sind 47 Verhandlungstage angesetzt, in der Regel drei pro Woche. "Teils mit 10 bis 12 Zeugen pro Tag - da haben wir viel zu tun", berichtet Rosenbaum. "Da ist es wichtig, dass wir uns am Ende des Tages als Team auch noch mal gutes Feedback geben und uns für den nächsten Tag positiv pushen." Trotz allem professionellen Umgang sei man natürlich tagtäglich mit sehr viel Leid und emotionaler Belastung konfrontiert.
Kein Mitleid, sondern Mitgefühl
"Also ich empfinde kein Mitleid, sondern Mitgefühl. Das ist etwas anderes. Ich will nicht mit den Zeugen leiden", erklärt Rosenbaum ihren Umgang mit dem Ganzen. "Natürlich sind die Sachen teilweise emotional belastend, aber die spielen glücklicherweise dann in meinem Privatleben keine Rolle mehr." Selbstfürsorge sei in diesem Job schon wichtig. Rosenbaum nutzt dafür professionelle Beratung, aber vor allem ihre Partnerschaft und Freunde seien ein elementar wichtiger Gegenpol.
(KNA)
Autor:Online-Redaktion |
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