Kritik an Friedensdenkschrift
Friedensethik am Kipppunkt
- EKD-Synodale Friederike Spengler hat die neue Friedensdenkschrift scharf kritisiert. Insbesondere zwei Punkte trieben sie besonders um, sagt die Regionalbischöfin der EKM: Die Fragen zum Thema der atomaren und nuklearen Bewaffnung sowie die Haltung der Denkschrift zum Pazifismus.
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Die EKD-Synodale Friederike F. Spengler hat die neue Friedensdenkschrift scharf kritisiert. Bei der Synode in Dresden forderte die Regionalbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland eine Fortentwicklung des Papiers. Warum die Haltung der Denkschrift zum Pazifismus der Kirche nicht gut zu Gesicht steht, erklärt sie im Gespräch mit Beatrix Heinrichs.
Sie haben eine Überarbeitung der Friedensdenkschrift angeregt. Ihr Antrag aber blieb erfolglos. Wie gehen Sie damit um?
Friederike F. Spengler: Nachdem mein Antrag in den entsprechenden Ausschuss verwiesen wurde, da aber keine Aufnahme fand, habe ich ihn zurückgezogen. Hätte ich das nicht getan, wäre er völlig neu im Plenum diskutiert worden – und zwar am letzten Synodentag. Das wäre dem Thema nicht gerecht geworden.
Die neue Denkschrift beschreibt Pazifismus als „individuelle Glaubensüberzeugung“. Können Sie sich dieser Lesart anschließen?
Nein, das kann ich nicht. Natürlich ist Pazifismus, so wie ihn die Denkschrift fasst, ein „Ausdruck gelebter Frömmigkeit“ und „individueller Glaubensüberzeugung“ – aber eben nicht nur. Pazifismus ist viel mehr für uns Christen. Die Denkschrift kommt zu dem Schluss, dass der Pazifismus nicht zum Kernbestand jetziger friedensethischer Überlegungen gehört. Das befremdet mich.
Mit friedenethischen Fragen bin ich groß geworden. Das gehört zu meiner DNA. Darum komme ich zu anderen Einsichten und Schlussfolgerungen.
Ist die Friedensdenkschrift eine Absage an die Positionen der Friedensbewegung im Osten?
Eine Absage möchte ich es nicht nennen. Eine Denkschrift ist ein Kompromisspapier und immer in und für eine gewisse Zeit geschrieben. Man kann den Autoren nicht vorwerfen, dass der Diskurs nicht gewollt gewesen wäre. Dieses Papier fordert uns heraus – und was Diskurse angeht, bin ich Demokratin. Allerdings was Äußerungen meines Gewissens angeht, nicht. Mit vielen anderen teile ich die Erfahrung, in einem Land gelebt zu haben, in dem das Bekenntnis zum Pazifismus in einer Bewegung mündete, die staatlich nicht gewollt war. Die Anfänge der Friedensdekade in den 1980er-Jahren der DDR habe ich miterlebt und mitgestaltet. Mit friedenethischen Fragen bin ich groß geworden. Das gehört zu meiner DNA. Darum komme ich zu anderen Einsichten und Schlussfolgerungen.
- Die EKD hatte während der Tagung ihrer Synode in Dresden die neue Friedensdenkschrift veröffentlicht. Anlass für den neuen Grundsatztext ist die russische Invasion in der Ukraine 2022. Im Zuge dessen kam es zu innerevangelischen Debatten über die Zulässigkeit von Waffenlieferungen. Die neue Denkschrift akzentuiert anders als ihre Vorgängerin 2007 den Schutz vor Gewalt und gibt ihm einen Vorrang, für den auch militärische Gewalt gerechtfertigt sein kann.
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Das betrifft unter anderem die Haltung der Denkschrift zum Thema Wehrdienst, die Sie vor der Synode kritisiert haben.
Dass der „Dienst ohne Waffe das deutlichere Zeichen des Christseins des gegenwärtigen Friedensgebotes unseres Herrn“ nun nicht mehr als Orientierungsangebot von Kirche gelten soll, irritiert mich. Ich halte diese Formulierung für unüberbietbar gut gewählt. Sie ist nicht abgrenzend radikal, aber ein Kompass, weil sie die Einsicht betont, dass es einen anderen, einen deutlicheren Ausdruck für ein Leben nach dem Evangelium gibt.
Bei der Vorstellung des Papiers hatten auch Gäste im Saal Platz genommen. Während der Einbringung bekundeten einige von ihnen durch Zwischenrufe ihren Unmut. Wie hat die Synode diese Äußerungen aufgenommen?
Deutliche Reaktionen habe ich nicht wahrgenommen. Vielleicht ist mir das entgangen. Ich bin dankbar, dass die Gäste da waren. Ich weiß, dass Friedrich Kramer mit einzelnen das Gespräch gesucht hat, ich auch. Die meisten von ihnen fühlten sich mit der von ihm und mir geäußerten Haltung, die in einigen Punkten mit der Denkschrift nicht konform geht, wohl gut vertreten. Für mich war es ein Déjà-vu-Moment. Bei der Synode 2019 wurden Aussagen der Friedensschrift von 2007 diskutiert. Damals ging es darum, sich zur atomaren und nuklearen Bewaffnung zu verhalten – und zwar eindeutig und ohne Nachsatz.
- Bei der Vorstellung des Papiers hatten auch Gäste im Saal Platz genommen. Während der Einbringung bekundeten einige von ihnen durch Zwischenrufe ihren Unmut. Wie hat die Synode diese Äußerungen aufgenommen?
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Sie haben kritisiert, dass die neue Denkschrift eine Unterscheidung trifft zwischen dem ethischen Nein und dem politischen Ja in Bezug auf die atomare Bewaffnung. Weshalb lehnen Sie diese Abwägung ab?
Warum brauchen wir als Kirche der Politik gegenüber eine solche Haltung? Das kommt einer vorauseilenden Bestätigung gleich. Wenn wir über Atomwaffen sprechen, geht es nicht mehr um das bloße Thema Bewaffnung oder um eingrenzbare Kriege. Es geht um Vernichtung! Hier sehe ich die Denkschrift an einem Kipppunkt. Wir sollten bei unserem friedensethisch errungenen Nein zu Atomwaffen bleiben.
Die Friedensdenkschrift beschreibt Positionen, an denen die Landeskirchen, die Gemeinden und Friedensgruppen gut weiterarbeiten können. Gleichwohl gibt es Positionen, die müssen nicht für jeden gelten. Das ist evangelische Freiheit.
Im Zuge der Debatte um die Denkschrift wurden Stimmen laut, die Kirche in der Friedensfrage eine gewisse Staatsnähe attestierten. Wo sehen Sie den Platz ihrer Kirche?
In Deutschland haben wir unterschiedliche Erfahrungen in der friedensethischen Gewissensbildung. In dieser Pluralität liegt eine große Chance. Zum ganzen Bild gehört auch, dass Menschen gibt, die zwar einen ähnlichen Hintergrund haben wie ich, jedoch meine Kritik nicht teilen. Sie vertreten die Ansicht, dass eine solche Friedensdenkschrift längst überfällig war. Die Friedensdenkschrift beschreibt Positionen, an denen die Landeskirchen, die Gemeinden und Friedensgruppen gut weiterarbeiten können. Gleichwohl gibt es Positionen, die müssen nicht für jeden gelten. Das ist evangelische Freiheit.
- Friedensverbände in der evangelischen Kirche üben Kritik an der neuen Friedensdenkschrift der EKD. Die Denkschrift fokussiere sich darauf, militärisches Handeln friedensethisch zu rehabilitieren, heißt in einer Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF). So frage die Denkschrift nicht, was passiere, wenn Abschreckung scheitere.
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Wäre es an der Zeit für eine neue Friedensbewegung?
Nein, aber gesteigertes Engagement in der Sache. Was es braucht, ist wieder ein aktiveres Umgehen mit dem Thema Frieden. Es braucht ein Bewusstsein dafür, dass die Friedensfrage zum Christsein dazugehört. Es ist nichts, was wir uns eben mal leisten. Es ist ein elementares Thema, das uns begegnet, wenn wir die Bibel lesen: Wie stehen wir zur Feindesliebe? Wie gehen wir um mit der Trennung von staatlicher und kirchlicher Gewalt? Wir sollten wieder stärker zu friedensethischen Diskursen einladen. Ich war zuletzt schon etwas erschrocken, wie wenig Beteiligung es bei einer großangelegten Veranstaltung mit all unseren Partnerkirchen zum Thema Frieden in diesem Herbst in Wittenberg aus unseren Gemeinden gab.
Die Friedensdekade bietet eine Gelegenheit dazu. Was empfehlen Sie Gemeinden, die sich mit der Friedensdenkschrift auseinandersetzen wollen?
Es lohnt ein Nachdenken über die theologische Grundausrichtung des Papiers, über die Frage nach atomarer Bewaffnung und das Thema Pazifismus. Mein Appell an die Gemeinden: Mischt euch in den Diskurs ein, nehmt die Friedensfrage wieder auf in eure Angebote und überlasst sie nicht anderen.
Autor:Beatrix Heinrichs |
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