Nachgefragt in Nordhausen
"In den Lehrplan einzugreifen, ist nicht sinnvoll"

Unter Kindern: Die Schüler der Evangelischen Grundschule Nordhausen sind zurück im Klassenzimmer. | Foto: Lysann Voigt-Huhnstock
  • Unter Kindern: Die Schüler der Evangelischen Grundschule Nordhausen sind zurück im Klassenzimmer.
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Mit Mama und Papa als Ersatz-Lehrkräften wirkt sich der Distanzunterricht unterschiedlich auf den Lernfortschritt der Kinder aus, weiß Lysann Voigt-Huhnstock. Beatrix Heinrichs hat mit der Leiterin der Evangelischen Grundschule Nordhausen und des Evangelischen Schulzentrums Mühlhausen gesprochen.

Was überwiegt, wenn Sie in die Schule kommen: Sorge oder Freude?
Lysann Voigt-Huhnstock:
Wir freuen uns, die Kinder wiederzusehen, aber es sind tatsächlich gemischte Gefühle. Die Leichtigkeit fehlt einfach. Im ersten Lockdown war das Virus noch weit weg, jetzt kennt jedes Kind jemanden aus dem Freundes- oder Familienkreis, der damit zu tun hatte. Das macht einen Unterschied. Auch wenn die Inzidenz im Landkreis Nordhausen derzeit recht niedrig ist, sind wir viel vorsichtiger und waschen lieber einmal mehr Hände als zu wenig.

Gerade in den Klassen 1 und 2 werden die Grundlagen für das Lernen selbst gelegt. Wie hat das Homeschooling hier funktioniert?
Auch wenn wir in beiden Schulen vorbereitet in den Lockdown gegangen sind – Homeschooling kann vieles einfach nicht leisten. Als wir die Kinder in Mühlhausen fragten, was sie am meisten vermisst haben, sagten sie: das Chaos in der Garderobe – und die Lehrer. Was fehlt beim Wissenserwerb, ist die Gemeinschaft. Das sollte man nicht unterschätzen.
Mit dem Digitalunterricht haben wir unterschiedliche Erfahrungen gemacht: In Nordhausen haben die Erstklässler die Einführung der Buchstaben in kleinen Lernvideos vermittelt bekommen. In Mühlhausen haben wir auf Videokonferenzen gesetzt. Hier haben wir festgestellt, dass diese Kinder im Vergleich die Schriftverläufe und Buchstabenverbindungen nicht so verinnerlicht haben wie ihre Altersgenossen in Nordhausen.

Hat das Homeschooling demnach Lern- und Leistungsunterschiede verstärkt oder gefördert?
Ob beim Lesen üben, Schreiben lernen oder beim Rechnen über den Zehner: Im Grundschulbereich ist vielfach praktische Anleitung wichtig. Was die Schüler lernen, und wie sie es tun, darauf haben in der derzeitigen Situation auch die Eltern einen noch stärkeren Einfluss gehabt. Viele Eltern sind sehr engagiert, aber einen einheitlichen Ansatz gibt es da eben nicht. Jeder erklärt es so, wie er es gelernt hat oder im Stande ist zu vermitteln. Das ist nur normal. Diese individuellen Herangehensweisen und unterschiedlichen Wissensstände bei den Kindern müssen jetzt im Präsenzunterricht angeglichen werden. Das wird nun etwas Zeit in Anspruch nehmen.

Welche Unterstützung konnten Sie den Familien anbieten?
Ganz wichtig war uns, mit den Eltern in Kontakt zu bleiben. Das war auch einfach unabdingbar. Für uns Lehrer war es schwer nachzuvollziehen, wo die Kinder gerade stehen, was sie verstanden haben, und was nicht. Daher haben wir die Eltern auch immer wieder ermutigt und dazu aufgerufen, sich bei Fragen und Problemen an die Fachlehrer zu wenden. Außerdem haben wir versucht, die Wochenpläne für die Kinder so zu strukturieren, dass alles auch für die Eltern gut zu handhaben war.

Stimmen aus der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordern, Lehrplaninhalte zu kürzen, um der Situation gerecht zu werden. Halten Sie das für eine gute Idee?
Eher weniger. In den Lehrplan einzugreifen, ist nicht sinnvoll, weil es nur eine Verlagerung des Problems bedeutet. Ich denke, man muss das pragmatisch angehen. Wir haben im Homeschooling versucht, das zu machen, was geht. Wir haben Inhalte verlagert oder Themen, deren Vermittlung komplex ist, verschoben. So führen wir in Deutsch zum Beispiel die unterschiedlichen Vergangenheitszeitformen eben erst jetzt im Präsenzunterricht ein.

Mit der Erfahrung der Pandemie: Was wünschen Sie sich für die Schule der Zukunft?
Eine Mischung aus digitalem Lernen und Unterricht vor Ort. Das kann durchaus von Vorteil sein. Die Kinder haben gelernt, selbstständiger zu sein. Aber Nähe ist so wichtig. Die Kinder in Nordhausen und in Mühlhausen sehen die Schule nicht als Lernort, sondern als Lebensraum. Was unsere Schulen prägt, ist ein starkes Gemeinschaftsgefühl – und es fällt schwer, dieses Konzept "auf Abstand" zu denken. Uns ist noch mehr klar geworden, wie wichtig Beziehungsarbeit ist – sowohl in Bezug auf die Kinder als auch die Eltern.

Wenn das Krümelmonster für die Mathematik Kekse isst
Autor:

Beatrix Heinrichs

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