Evangelischer Militärbischof im Interview
Friedensgebete in den Kasernen

Evangelischer Militärbischof Bernhard Felmberg | Foto: epd-bild/Christian Ditsch
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Er ist der oberste Seelsorger der deutschen Soldatinnen und Soldaten: Bernhard Felmberg, 56 Jahre alt, seines Zeichens evangelischer Militärbischof. Benjamin Lassiwe hat sich mit dem Theologen über die momentane Stimmung in der Bundeswehr unterhalten.

Herr Militärbischof Felmberg, wie ist denn im Moment die Stimmung in der Bundeswehr?
Ich erlebe, dass es in der Bundeswehr genau wie in der Zivilgesellschaft viele Menschen gibt, die sich Sorgen und Gedanken über die Entwicklungen der letzten Tage machen. Einerseits gibt es ein sehr klares Handeln – was jetzt auch gefordert und angesagt ist. Andererseits gibt es viele Soldatinnen und Soldaten, die sich gerade jetzt über die Besonderheit ihres Berufs Gedanken machen und sich klarmachen, in welchen Beruf sie gegangen sind. Und für die Familien von Soldatinnen und Soldaten ist das jetzt auch eine andere Situation. Kinder sind in der Schule ja manchmal sehr klar im Sprechen. Da kommt es schon vor, dass der eine Junge zu dem anderen sagt: „Dein Vater ist Soldat, der muss vielleicht bald in die Ukraine und der stirbt da.“ Das sind Aussagen, mit denen Kinder und Familien schwer umgehen können. Entsprechend müssen wir als Militärseelsorge diese neue Situation aufgreifen.

Was machen Sie konkret?
Wir haben als Militärseelsorge vor zwei Wochen angefangen, zu Friedensgebeten in den Kasernen aufzurufen – und spüren dort mancherorts eine große und mancherorts eine weniger große Resonanz. Und wir sehen einen intensiven Gesprächsbedarf bei den Soldatinnen und Soldaten und stehen als Ansprechpartner für sie bereit. In Freizeiten mit Familien und im Lebenskundlichen Unterricht nehmen wir das Thema auf.

Wäre ein Einsatz deutscher Truppen in der Ukraine denn ethisch zu rechtfertigen?
Das ist zunächst keine ethische, sondern eine sicherheitspolitische und völkerrechtliche Frage. Die NATO wird sich in diesen Konflikt nicht einmischen. Das ist völkerrechtlich geboten, weil die Ukraine kein Teil der NATO ist und somit die NATO nicht angegriffen wurde. Und es wäre damit auch ethisch nicht vertretbar. Ein Eingreifen der NATO hätte unabsehbare Folgen. Aus friedensethischer Sicht gilt es, eine Eskalation zu vermeiden.

Das heißt, die Ukraine muss ihrem Schicksal überlassen werden?
Die Ukraine verteidigt sich, mit all den Möglichkeiten, die sie hat. Sie hat in großer Vernehmbarkeit um Hilfe gerufen. Das ist ein Ruf, der an keinem von uns spurlos vorübergeht. Und die Form, in der geholfen wird, ist ja sehr unterschiedlich. Es gibt humanitäre Hilfe mit mobilen Krankenhäusern und Flüchtlinge werden zu Hunderttausenden aufgenommen und versorgt. Und es gibt Hilfe in Form von Waffenlieferung. Diese Hilfe bleibt eine Gratwanderung: einerseits Verteidigungswaffen zu liefern, die adäquat sind und die der Ukraine sich zu verteidigen helfen, andererseits nicht dazu beizutragen, dass der Konflikt über die Grenzen der Ukraine hinaus eskaliert. Das ist ein ethisches Dilemma und es ist völkerrechtlich ein schmaler Grat, den die Politik hier geht.

Wie steht es denn um die Ausrüstung der Bundeswehr?

Seit 1990 haben Deutschland und andere Nationen eine enorme Friedensdividende eingefahren. Man hat hohe Geldsummen eingespart, weil man die Bundeswehr zum Beispiel von knapp 460000 Mann auf 183000 reduzieren konnte und die Wehrpflicht ausgesetzt hat. Das ist aber an der Bundeswehr auch nicht spurlos vorübergegangen. Schon in den Auslandseinsätzen der letzten Jahre hat sich gezeigt, dass die Bundeswehr nicht ausreichend ausgestattet ist. Dass der Bundestag angesichts der akuten, massiven Bedrohungssituation nun mehr Geld in die Hand nehmen möchte, ist ein Schritt, der deutlich macht, dass die Friedensdividende der letzten Jahre vielleicht auch zu hoch war. Wir hatten im alten Westdeutschland ca. 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den Wehretat. Wir sind seit Jahren unter zwei Prozent. Da wird jetzt nachgesteuert. Aber bis das greift, wird es Jahre dauern.

Braucht es eine Wiedereinführung der Wehrpflicht?
Ich bin nicht für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht im klassischen Sinne. Das kann es heute schon aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit so nicht mehr geben. Man kann über ein allgemeines Dienstjahr für alle nachdenken – aber gerade, weil sich die Situation so schnell verändert, bin ich dafür, zunächst einmal Ruhe zu bewahren und zurückhaltend zu bleiben.

Ist die evangelische Kirche mit ihrer Friedensethik eigentlich auf die aktuelle Situation hinreichend vorbereitet gewesen?
Ich glaube, dass unsere Gesellschaft die Entwicklungen der letzten 15 Jahre sicherheitspolitisch nicht richtig wahrgenommen hat, vielleicht sogar nicht wahrnehmen wollte. Das gilt für viele politische und gesellschaftliche Bereiche und vermutlich auch für die EKD. Man müsste mal nachschauen, wie viele Äußerungen der Kirche es zur Annexion der Krim oder zu den Fragestellungen Donezk und Luhansk gegeben hat. Das heißt, die Gesellschaft, und mit ihr auch die EKD, hat diese Entwicklungen nicht so stark beobachtet, wie es nötig gewesen wäre, um zu verhindern, was wir seit knapp zwei Wochen erleben. Mit Putin ist zu zurückhaltend umgegangen worden. Die Ukrainer zahlen dafür einen bitteren Preis – und der gesamten westlichen Welt ist es auf die Füße gefallen.

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Online-Redaktion

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