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Der Blick der Opfer

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Von Willi Wild

Am Eingang zum Tagungssaal der EKD-Synode in Dresden bleibt er stehen. Gerade beginnt die Andacht vor dem Schwerpunkt „Aufarbeitung sexualisierter Gewalt“. Als Junge wurde er im „Schutzraum“ der Kirche sexuell missbraucht. Heute erträgt er es nicht mehr, wenn Geistliche auf der Kanzel von der Liebe Gottes reden. Er hat anderes erfahren. Der Missbrauch zerstörte sein Leben.
Kerstin Claus musste mit 14 Jahren ähnliches erleben. Vor der EKD-Synode redet sie Klartext. „Null Toleranz mit Tätern und Mitwissern“ (Zitat des EKD-Ratsvorsitzenden Bedford-Strohm bei der Synode 2018) sei bislang nur ein Lippenbekenntnis. Nach wie vor werden Täter in der Kirche zum Teil nur versetzt anstatt entlassen. Institutionelle Aufarbeitung darf, wenn sie ernst gemeint ist, aber nicht verschleiern, sondern muss Taten aufdecken und öffentlich benennen, so Claus. Und die Bedürfnisse der Betroffenen müssen in den Mittelpunkt gestellt werden. Bislang billige man ihnen nur die Rolle der Zeugen zu. Claus ist Mitglied im Betroffenenrat des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung.
Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs ist die Sprecherin des Beauftragtenrates der EKD, der die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der evangelischen Kirche koordiniert. In ihrem Bericht bezeichnet sie die EKD-weite Gewaltschutzrichtlinie als einen Meilenstein. Wie diese Richtlinie zur Prävention, Intervention und Aufarbeitung von Missbrauch Anwendung findet und umgesetzt werden kann, ist Aufgabe der Landeskirchen. Einerseits muss das schnell geschehen, andererseits hat Kerstin Claus darauf hingewiesen, dass Aufarbeitung kein Sprint, sondern ein Marathon ist. Trotz aller Rückschläge und ihrer eigenen Missbrauchsgeschichte hat sie eine Vision von Kirche: der Schutz der Schwächsten. Eine geistliche Herausforderung für die Institution und jeden Einzelnen.

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Online-Redaktion

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