Lastenausgleich 1952
Heikle Nagelprobe

Frauen 1945 auf der Flucht: Auch nach Kriegsende war die Not groß. | Foto: epd-bild/akg-images
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Fritz Schäffer, erster bayerischer Ministerpräsident nach dem Zweiten Weltkrieg, war überzeugt: Es muss in der Stunde Null im kriegsverwüsteten Deutschland eine Umverteilung des Vermögens geben.

Von Dirk Baas

Freunde machte sich der CSU-Politiker mit der Idee von Sondersteuern nicht. Und doch kam es in der jungen Bundesrepublik zur größten Umverteilung, die je in einer freien Marktwirtschaft stattgefunden hat: Nach heutigem Geldwert wurden 60 Milliarden Euro aus Vermögens-, Hypotheken- und Kreditgewinnabgaben eingezogen und an Millionen Mittellose ausgezahlt. Vor 70 Jahren trat das Gesetz zum Lastenausgleich in Kraft.

Schäffer, auch erster Finanzminister der Bundesrepublik, wollte eine sozial und politisch befriedete neue Gesellschaft aufbauen – und setzte auf die Solidarität der Bürger. Leid, Elend und Verzweiflung waren allgegenwärtig. Im Land lebten unmittelbar nach Kriegsende 15 Millionen Menschen, die oft nicht mehr besaßen als ihre zerschlissene Kleidung: Bombenopfer, Heimatlose, ehemalige KZ-Häftlinge. Allein zwölf Millionen Menschen suchten als Vertriebene aus den einstigen deutschen Ostgebieten eine neue Heimat. 18 Millionen Menschen, also mehr als ein Drittel der damaligen Bevölkerung der Bundesrepublik, hatten Ansprüche auf Zahlungen aus dem Lastenausgleich.

Zunächst wurde aus Zeitgründen das «Soforthilfegesetz» verabschiedet, das die größte Not der Geschädigten lindern sollte. Erhoben wurde eine Steuer von drei Prozent auf das vorhandene Eigentum, die sofort fällig war. «In den drei Jahren von 1949 bis zum Inkrafttreten des Lastenausgleichsgesetzes wurden bereits 6,2 Milliarden DM ausgegeben», berichtete Henning Bartels, Vizepräsident des Bundesausgleichsamtes, das für den Lastenausgleich zuständig war. Der Bundestag verabschiedete das «Gesetz über einen allgemeinen Lastenausgleich» gegen die Stimmen von SPD und KPD. Die SPD begründete ihre Ablehnung vor allem mit der verhältnismäßig geringen Abschöpfung der wirklich großen Vermögen.

Weil der Staat wegen Corona und auch als Folge des Ukraine-Krieges viel Geld braucht, ist auch heute wieder ein Lastenausgleich in der Debatte. Doch einen solchen Schritt halten viele Experten für völlig überzogen – nicht zuletzt aus verfassungsrechtlichen Gründen. Auch der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, ist strikt dagegen. Er warnt, «die Bürger nicht durch historische Irrlichter zu verunsichern». Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages urteilte, dass mit Blick auf den Lastenausgleich die Ausgangslage 1952 und die aktuelle nicht vergleichbar seien.

Einen anderen Blick hat der Historiker Heinrich August Winkler. Dem «Tagesspiegel» sagte er zu Beginn der Corona-Pandemie: «Deutschland wird um eine Umverteilung großen Stils nicht herumkommen.»

 (epd)

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