Revolutionär
Das Gottesgeschenk

Sag mir, was du hörst und ich sage dir, wer du bist: Was wir hören, ist abhängig von unseren Erwartungen, sagt Karlheinz Brandenburg. In seiner Forschung hat er sich auch mit der Psychoakustik beschäftigt, also mit dem Verhältnis von Schall und dem Eindruck, den dieser beim Hörer hinterlässt. | Foto: Fotos (2): Beatrix Heinrichs
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  • Sag mir, was du hörst und ich sage dir, wer du bist: Was wir hören, ist abhängig von unseren Erwartungen, sagt Karlheinz Brandenburg. In seiner Forschung hat er sich auch mit der Psychoakustik beschäftigt, also mit dem Verhältnis von Schall und dem Eindruck, den dieser beim Hörer hinterlässt.
  • Foto: Fotos (2): Beatrix Heinrichs
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Vor 25 Jahren beschrieb Karlheinz Brandenburg die grundlegenden Techniken für das Audioformat MP3 – und damit die Möglichkeit, auf kleinsten Geräten Musik für hunderte Stunden abzu-speichern. Beatrix Heinrichs sprach mit dem 66-Jährigen über Pfadfinderabende am Lagerfeuer, digitale Kirche und den Klang der Zukunft.

Sie haben ein Verfahren entwickelt, das die Musikindustrie revolutioniert hat. Haben Sie selbst auch einen MP3-Player?
Karlheinz Brandenburg: Inzwischen habe ich sogar ein kleines Museum. Reguläre MP3-Player allerdings habe ich gar nicht mehr im Einsatz. Eigentlich höre ich meist über mein Smartphone.

Welches sind die ersten drei Lieder in Ihrer Playlist?
Die eine Liste mit Lieblings-Songs gibt es bei mir gar nicht. Wenn ich Musik höre, dann im Zug oder im Flugzeug. Um ehrlich zu sein, höre ich Musik unterwegs auch nur zum Einschlafen. Klavierkonzerte machen sich da gut oder Folk-Rock.

Spielen Sie selbst auch ein Instrument?

Ich habe als Kind verschiedene Instru-mente gelernt, aber als es mit dem Studium ernst wurde, habe ich es aufgegeben. Blockflöte zum Beispiel. Da habe ich es seinerzeit sogar mit dem Blockflötenquartett zum bayrischen Landessieger bei „Jugend musiziert“ geschafft. Auch Klavier habe ich über fünf Jahre gespielt – allerdings bei einem Klavierlehrer gelernt, für den es außer Bach keine anderen Komponisten gab. Für ihn stand fest, dass man einfach nur die Etüden mechanisch beherrschen muss. Das hat für mich nie richtig funktioniert. Auch an der Geige habe ich mich ein Jahr lang versucht. Da wiederum hatte ich das Gefühl, dass ich in dieser Zeit weitergekommen bin, als in all den Jahren Klavierunterricht. Später habe ich mir das Gitarrespielen selbst beigebracht – soviel zumindest, dass ich bei den Pfadfindern am Lagerfeuer den Gesang begleiten konnte.

Die Faszination für Musik und Klang begleitet Sie also schon seit Ihrer Kindheit …
Ja, aber auch das Technische an der Sache. Als Kind habe ich eigene Verstärker gebastelt und an Schulfreunde verkauft. Damals schon so, dass ich mir nicht nur irgendeinen Schaltplan besorgt hab, um ihn nachzubauen. Sondern, dass ich versucht habe das selber zu konstruieren.
… wie bei der Bach-Etüde wollten Sie nicht kopieren, sondern variieren?
Ja, schon (schmunzelt). Tatsächlich war unsere Familie sehr musikalisch. Auch im Chor gesungen habe ich lange. Das war eigentlich immer etwas, von dem ich mir vorgenommen hatte, es wieder zu verfolgen, wenn ich einmal mehr Zeit habe.

Nach fast 20 Jahren am Ilmenauer Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie sind Sie im Frühjahr in den Ruhestand verabschiedet worden. In welchem Chor haben Sie denn schon vorgesungen?
Noch ist es so, dass ein regelmäßiger weiterer Abendtermin nicht unbedingt gut wäre.

Ihre Ehrenämter lassen eher einen „Unruhestand“ vermuten. Sie sind im Kuratorium der Evangelischen Akademie Thüringen, als Techniker bringen Sie Ihre Expertise im Corona-Beirat der Landesregierung ein und kürzlich hat die Kreissynode Sie als ihren Vertreter für die EKM-Landessynode bestimmt. Was ist der Grund für Ihr Engagement?
Was mich treibt, ist ein Verantwortungsgefühl. Ich kann Dinge einbringen, die in diesem Umfeld relativ selten sind: Die Sicht der Welt nicht nur von der christlichen Ethik her, sondern auch aus dem technisch-mathematischen Bereich. Beides ist nicht ganz so leicht zusammenzubringen. In der Mathematik gibt es ganz bestimmte Regeln, die dann sichere Ergebnisse zur Folge haben. Wenn man es aber mit Menschen zu tun hat, sind diese Gesetzmäßigkeiten außer Kraft. Berechenbar ist hier nicht immer alles.

Spricht da jetzt der Mathematiker oder der Christ?

Es ist eher die Lebenserfahrung und meine Zeit in der kirchlichen Jugendarbeit, die mich das gelehrt haben. In Erlangen hatte ich mich zum Studium der Elektrotechnik angemeldet. Dann habe ich angefangen, die Mathematik-Vorlesungen zu besuchen. Im zweiten Semester habe ich mich auch für dieses Fach eingeschrieben. Parallel dazu war ich bei den Christlichen Pfadfindern aktiv. Auch im Dekanatsjugendkonvent habe ich mich engagiert. Später war ich Vorsitzender des Landesjugendkonvents. Es ist mir nach wie vor unbegreiflich, was ich in dem Jahr geschafft habe. Natürlich war da das Interesse für diese Fächer. Aber ich wollte mir selber auch beweisen, dass sowas geht.

Elektrotechniker und Pfadfinder – wie haben Sie diese zwei Welten zusammengebracht?
Für mich war es die andauernde Übung, einmal anders zu denken. Das ist wichtig und ich versuche es auch, allen mei-nen Studenten zu vermitteln. Erstens, weil große Innovationen meist an den Schnittstellen zu unterschiedlichen Gebieten entstehen. Und zweitens, weil es unabdingbar ist, soziale Fähigkeiten zu entwickeln, Teamfähigkeit zu erlernen und zudem Erfahrungen in der Leitung von Gruppen zu sammeln. Wenn man so will, hatte ich bei den Pfadfindern ein Art Management-Training. Unter den Ehrenamtlichen damals waren eine Reihe Lehrer. Von denen habe ich als Techniker viel lernen können.

Erfindungen fallen nicht vom Himmel. Forschergeist vorausgesetzt, brauchen neue Ideen oft viel Geduld, um zu reifen. Haben Sie die?

Es kommt darauf an. Während meiner Promotion habe ich mich einmal stundenlang in der Bibliothek vergraben, als ich nicht weiterkam. Da habe ich mich dann durch Publikationen aus den verschiedensten Fachrichtungen gelesen, um eine Lösung für meine Fragestellung zu finden. Das Problem ist, dass das mit dem Erfinden nicht so plötzlich geht. Konstruktive und kreative Ideen entstehen oft erst in dem Moment, in dem sie gebraucht werden. Man könnte schon sagen, sie sind ein Gottesgeschenk.

War die Idee zur Audio-Komprimierung so ein Gottesgeschenk, ein Kairos-Moment?
Der Weg zum MP3-Format war eine Entwicklung. Viele der Grundideen lagen in der Luft. Ob die Lösung des Problems aber nun der berühmte Geistesblitz unter der Dusche war, kann ich gar nicht mehr so genau sagen. Lustigerweise habe ich an diese Zeit eine ganz andere Erinnerung, als aus meinen Aufzeichnungen hervorgeht. In meiner Erinnerung habe ich eine Woche fieberhaft gearbeitet, um zu verifizieren, dass die Idee für die Audio-Codierung so funktionieren könnte, wie ich es mir zusammengedacht hatte. Allerdings müssten dann für eben diese Woche mehr Arbeitsstunden aufgeschrieben sein – das war aber nicht der Fall.

Das Gedächtnis ist suggestiv und formbar, weiß die Psychologie. Trifft das auch auf die Art und Weise zu, wie wir hören?
Mein Vater war Psychologieprofessor. Obwohl es zu Hause bei uns kaum ein Thema war, interessiert mich die Psychologie des Hörens sehr. Interessant ist, dass das, was ich höre, im Gehirn massiv beeinflusst ist von dem, was ich früher schon einmal gehört habe. Es gibt keine „Eins-zu-Eins“-Übertragung, die in die Ohren gelangt. Alles, was gehört wird, gleicht das Gehirn ab mit dem, was ich erwarte.

Bedeutet das im Umkehrschluss, dass es den perfekten Klang gar nicht gibt?
Das kann man so nicht sagen. Hier steht Authentizität gegen Plausibilität. Wenn ein Klang authentisch ist, kann ich selbst, wenn eine Referenz, also eine Erwartung oder Gewohnheit, vorhanden ist, ihn nicht unterscheiden. Als wir die Qualität der Audio-Codierung getestet haben, konnten die Probanden nicht statistisch relevant unterscheiden, was original von der CD kam und was im MP3-Format codiert ist. Allerdings, wenn es um den Klang in einem Raum geht, wird es schwierig mit der Authentizität. Derzeit forschen wir daran, über Kopfhörer einen Klang zu erzeugen, der eine Art perfekte Illusion ermöglicht. Die Herausforderung: Eine externe Referenz gibt es nicht und die interne, die subjektive Erwartungshaltung lässt sich nur schwerlich abgleichen.

Apropos Erwartungshaltung: Wenn man mit einer Entwicklung einmal so erfolgreich war, erzeugt das nicht auch Druck, der den Erfindergeist lähmt?

Der Erfolg ist eher ein Trigger, als dass er lähmt. Der ganz große Erfolg ist allerdings wie ein Lottogewinn. Die gute Nachricht ist, einen zweiten Lottogewinn zu schaffen ist von der Gesamtwahrscheinlichkeit her genauso hoch wie beim ersten – das System ändert sich schließlich nicht. Die schlechte Nachricht ist, die Wahrscheinlichkeit beim zweiten Mal ist für sich genommen auch nur genauso hoch wie beim ersten Mal.

In der Corona-Krise haben viele Gemeinden auf digitale Formate gesetzt. Sieht so die Zukunft der Kirche aus?
Als Protestanten und Lutheraner sollten wir wissen, dass wir aus der Tradition der neuen Medien kommen. Ohne Flugblätter und Buchdruck hätten die Gedanken des Reformators nie so eine Durchschlagskraft besessen. Insofern heißt traditionell sein für Lutheraner nichts anderes als offen für neue Medien zu sein. Diese neue Art der Kommunikation verdrängt ja die alten Formate nicht, sondern ergänzt sie.

Wo liegen Ihrer Meinung nach die Grenzen bei dem Versuch, Glaube und christliche Gemeinschaft digital abzubilden?
Was die Menschen vermissen, ist die Gemeinschaft. Und die lässt sich digital so eben nicht darstellen. Es geht nicht nur darum, am kleinen Bildschirm Gottes Wort zu hören und das Gesicht des Pfarrers zu sehen. Es geht um die Interaktion von Mensch zu Mensch.

Wird eine stärkere digitale Präsenz wieder mehr Menschen für den Glauben begeistern können?

Als Christen müssen wir Beispiel sein und unseren Glauben und das, wofür er steht, in die heutige Zeit übersetzen. Darum geht es, denke ich. Alles andere kann man nicht erzwingen.

Wo trägt Sie Ihr Glaube?

Glaubensmittlerin für mich war meine Mutter. Mit dem Glauben hat sie mir eine Art Urvertrauen mit auf den Weg gegeben. Ich weiß, egal was passiert oder wie mir andere mitspielen, ich existiere unabhängig von all dem.

Zur Person
Karlheinz Brandenburg, Jahrgang 1954, ist promovierter Elektrotechniker und Mathematiker. Mit einem Team von Forschern entwickelte er das 1995 unter dem Namen MP3 bekannte Verfahren zur Audiodaten-kompression. Seit 2000 forscht er in Ilmenau. Im Ruhestand unterstützt er junge Forscher. 

Autor:

Beatrix Heinrichs

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