auf den Tag Peter & Paul 29. JUNI
zwei Männer am Rand der Welt

Sie saßen sich gegenüber wie zwei alte Fischer, die dieselbe Strömung für etwas Entgegengesetztes hielten. Der eine Mann war grob, breit, wettergehärtet. Petrus. Felsen genannt, innerlich wie altwürziges Brot. Der andere war schmal, zäh, ein Intellektueller mit vernarbtem Eifer. Paulus. Zeltmacher. Philosoph. Missionar aus Trotz.

Jerusalem kochte unter der Sonne. Der Wind brachte Staub und alles andere - nur keine Klarheit. Und doch musste man über alles das reden. Und da ging es nicht nur um Fischfang. Es ging auch nicht um Zelte. Es ging um die Heiden. Es ging um das Fleisch von den Götzenopferaltären. Und um die alten Messer aus Stein. Ach - später würde man es Apostel-Konzil nennen.

Die Frage war einfach: „Wie weit kann man gehen, ohne dabei alles zu verlieren?”

Paulus wollte keine Beschneidung. Nicht bei den Griechen, nicht bei den Galliern, nicht bei den Leuten, die dem Pan, dem Dionysos und der Artemis vor ein paar Tagen noch Opfer dargebracht hatten, damit ihre Ziegen nicht starben. Er wollte Christus, pur, ohne Beschneidungsklinge.

Petrus aber wollte Ordnung. Er wollte Frieden. Er wollte nicht wieder auf dem falschen Fuß erwischt werden, wie damals, im Hof des Hohenpriesters. Er wusste, wie man sich verrennt – und dann heult.

Sie rangen. Nicht mit Fäusten, aber mit Worten. Scharfe Worte. Paulus nannte Petrus heuchlerisch. Petrus nannte Paulus überheblich. Es wurde richtig laut. Und es wurde still. Und dann, irgendwann, wurde es richtig.

Sie ließen das Messer außen vor. Sie ließen die Beschneidung nur dort, wo sie herkam – im Bund der Väter. Aber für die Heiden gab es einen anderen Weg. Den Weg aus Wasser und Geist. Sie beschlossen: Nicht das abe Fleisch entscheidet. Sondern die Gnade.

Ein paar Stunden später, als die Sonne unterging und die Stadt mit tausenden von Öllampen flackerte, stiegen sie auf das Dach des Hauses. Es gab Wein. Der Wein war zwar etwas bitter, aber wenigstens ehrlich.

„Weißt du“, sagte Paulus, „in zweitausend Jahren wird das alles hier kaum mehr einer verstehen.“
„Was?“
„Dass wir wegen einer Vorhaut beinahe die Kirche gespalten hätten.“
Petrus lachte. Es war ein trockenes, dünnes Lachen. Aber so ist es eben. Die großen Probleme der Welt lösen sich erst dann, wenn keiner mehr ihren ehemaligen Sinn verstehen kann.

Sie schwiegen eine Weile. Dann sagte Petrus:
„Wenn wir die Beschneidung kippen konnten, werden sie eines Tages vielleicht auch die Taufe nicht mehr brauchen?“
„Was dann?“ fragte Paulus.
„Vielleicht … wird es dann ein neues Sakrament geben.“

Paulus hob eine Braue.

Petrus sah in den Himmel, in die Nacht, die sich wie ein Mantel über die Welt legte. „Ein Sakrament“, sagte er langsam, „das darin besteht, Sinn und Geschmack für das Unendliche zu hegen.“

Paulus sagte nichts. Er wusste, wenn Petrus so zu sprechen begann, war etwas Tieferes zu erwarten. Kein Dogma. Nur Wahrheit.

„Wer dieses Sakrament genießt und hat“, flüsterte Petrus, „gehört zur Kirche Jesu Christi.“

Und nun stießen sie an. Und tranken. Viel. Heimlich auf dem Dach unter dem alten Weltenhimmel mit seinen funkelnden Sternen. Brüderlich. Nicht, weil sie gewonnen hätten. Sondern weil sie damals verstanden haben, dass der Weg nie zu Ende ist. Und dass der Wein auf diesem Weg manchmal zuerst bitter ist – aber im Abgang fast immer seltsam süß.

Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer

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