Jena: Studientag der Theologischen Fakultät
Vergangenheit mit Zukunft vermengt

"Naziglocken": Darüber diskutierten u. a. Friedrich Kramer, Matthias Gehler (MDR) und  Bodo Ramelow (Linke) | Foto: Foto: Doris Weilandt
  • "Naziglocken": Darüber diskutierten u. a. Friedrich Kramer, Matthias Gehler (MDR) und Bodo Ramelow (Linke)
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Kirche mit Vergangenheit. Kirche mit Zukunft?“ – auf die zentrale Frage des Studientages der Theologischen Fakultät antwortete Walter Rosenthal, Präsident der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU), mit einer düsteren Aussicht. Laut einer Studie der Freiburger Universität sollen die evangelische und die katholische Kirche bis 2060 die Hälfte ihrer Mitglieder verlieren. Die Gründe dafür lägen in den Missbrauchs- und Finanzskandalen, aber auch im Umgang mit dunklen Flecken in der Vergangenheit. Aktuelles Beispiel: die umgangssprachlich als „Nazi-Glocken“ bezeichneten Kirchenglocken, die der Ideologie des Nationalsozialismus mit eindeutigen Symbolen und Bekenntnissen geweiht sind.
Das Interesse und die Erwartungshaltung an die Podiumsdiskussion waren groß, auch das Publikum hochkarätig besetzt. Antworten wurden vor allem auf die Frage des Umgangs mit diesem Thema erwartet. Zur Vorgeschichte: Bereits im April 2018 machte "Glaube+Heimat" erstmals öffentlich, dass in mehreren Thüringer Kirchen Glocken mit Hakenkreuzen und Hitler-Verehrung hängen, die auch an Gedenktagen für die Opfer des Terrorregimes geläutet werden. Vor rund einem Jahr erstattete Gilbert Kallenborn, Jude aus dem Saarland, Strafanzeige wegen Volksverhetzung gegen die EKM und Landesbischöfin Ilse Junkermann. Der Erhalt von Propagandamaterial einer verbotenen Partei ist strafrechtlich relevant, so die Argumentation.
MDR-Chefredakteur Matthias Gehler kritisierte gleich zu Beginn den Umgang der EKM unter dem Motto: „Wir wollen das nicht an die große Glocke hängen“. Er vermisste eine klare Haltung. Dem widersprach Landesbischof Friedrich Kramer ganz entschieden. Die Kirchenglocken in acht Thüringer Gemeinden werden seit der Übereinkunft von EKM und Gemeindekirchenräten nicht mehr geläutet. Die Glocke aus der Bergkirche von Tambach-Dietharz ist abgenommen und Bestandteil der aktuellen Ausstellung zum „Entjudungsinstitut“ im Eisenacher Lutherhaus. Inzwischen wurde in der Kirchengemeinde eine neue Glocke geweiht. Auch weitere Glocken sind außer Betrieb. Kramer verwies auf einen Prozess, der sich mit Geschwindigkeit nicht erreichen lasse, weil man die Kirchengemeinden nicht bevormunden wolle. „Die Glocken wurden nicht von Nazis, sondern von Gemeindekirchenräten bestellt“, so Kramer.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow unterstützte die Meinung des Landesbischofs. Er erinnerte am Beispiel der Schmähplastik „Judensau“ daran, wie lange es gedauert habe, bis sich eine Gesellschaft damit beschäftige. Auch dieses Thema sei noch lange nicht ausdiskutiert und Wittenberg nicht der einzige Ort mit derartigem Bildwerk. Bezüglich der Glocken aus der NS-Zeit stellte er Unterstützung in Form von Lottomittel in Aussicht. Dass das keine verpflichtende Aufgabe des Landes ist, hatte die Kirchgemeinde Rettgenstedt 2019 erfahren. Ein entsprechender Antrag wurde abgelehnt.
Das Bewusstsein muss wachsen. Die Reaktionen aus dem Publikum waren geteilt und reichten von der sofortigen Abnahme bis zum Bewahren als Sachzeugnis der eigenen Geschichte, was angesichts zunehmender Akzeptanz von Neonazismus heikel ist. Das Thema „Nazi-Glocken“ macht deutlich, dass die Beschäftigung mit der eigenen Rolle im Dritten Reich erst begonnen hat. Die Vermischung der Diskussion um die „Nazi-Glocken“ mit dem Thema „Kirche der Zukunft“, zeigte sich als schwieriges Konstrukt, das für den gesamten Frühabend nicht produktiv war.

Doris Weilandt

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Online-Redaktion

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