Wort zur Woche
Warum Kehle und Seele zusammengehören

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Singet dem Herrn ein neues Lied.
Psalm 98, Vers 1

Von Jörg Uhle-Wettler

Die Wundertaten Gottes werden besungen. Er hat sein Volk in einem zweiten Exodus aus dem babylonischen Exil durch die Wüste nach Jerusalem und Judäa heimgeführt. Die Hoffnung hat sich erfüllt, wenn auch erst Generationen später. Die seinerzeit Verschleppten kamen nicht zurück. Aber sie haben die Hoffnung weitergegeben, dass es irgendwann zurückgeht. Unsere Toten sind immer dabei.

Zehntausendfach wird am Sonntag in unseren Kirchen der Psalm gesungen oder im Wechsel gesprochen. Die Frauen bitte immer das Ver-rückte. Wir wissen, dass diese Hoffnung enttäuscht worden ist. Im Juden- wie im Christentum ist die Geschichte der eschatologischen Hoffnung eine Geschichte von Ernüchterung, Enttäuschung und Ermüdung. Trotzdem: Hoffen!

Im Dom steht die Hoffnung zwischen Glaube und Liebe auf dem Schalldeckel der Kanzel. Die Gläubige trägt ein Kreuz, die Liebe hat zwei Kinder dabei. Die Hoffnung hat nichts in der Hand. So ist sie halt. Aber sie tanzt! Die Melodie wüsste ich zu gerne. Das erste Wolf-Biermann-Konzert nach dem Fall der Mauer war von einer verwegenen Hoffnung geprägt. Er schlug das Wimmerholz und sang sein Lied: Wir hatten es schon halb vergessen. Darin heißt es im Refrain: „Nun atmen wir wieder, wir weinen und lachen / Die faule Traurigkeit raus aus der Brust / Mensch, wir sind stärker als Ratten und Drachen – Und hatten’s vergessen und immer gewusst.“ Erst wenn der Schmerz nachlässt, merkt man, wie tief er gesessen hat.

Über Hoffnung kann man reden, sie gar zerreden. Hoffend darf man bitten und beten. Es hilft den Bittenden. Und hoffend soll man singen. Kantate. Ein neues Lied. Kehle und Seele gehören zusammen, Stimme und Stimmung gleichermaßen. Im Gesangbuch "Durch Hohes und Tiefes" steht unter Nr. 374 das Lied von Schalom Ben‑Chorin „Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt“.

Ich weiß nicht, wer die Kraft hat, das Lied Sonntag im Gottesdienst zu singen. Blut, Krieg und tausende Tote, aber des Lebens Blütensieg weht im Wind. Wir werden es versuchen.

Der Autor ist Domprediger in Magdeburg.

Foto: Jörg Uhle-Wettler
Autor:

Online-Redaktion

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