Gleichnis von den zehn Jungfrauen
Ewigkeitssonntag 2025

Paula Jordan: GLEICHNIS VON DEN ZEHN JUNGFRAUEN

Es gibt bestimmte Bilder, und die folgen uns jahrzehntelang wie treue Schatten. Wenn man alt genug geworden ist, um die vergangene Zeit staunend zu betrachten, dann ahnt man schließlich, wie diese Bilder mehr von uns wissen als wir von ihnen. Das Gleichnis Jesu von den zehn Jungfrauen – ein Gleichnis, das die Nachgeborenen mit seinem strengen Maß und seiner eigentümlichen Mischung aus Erwartung, Gericht und nächtlicher Unruhe bis heute irritiert – gehört in diese Kategorie. Paula Jordan hat diese Szene gemalt; auf Seite 243 der längst aus dem Gebrauch genommenen Kinderbibel SCHILD DES GLAUBENS ist der ganze Ernst und zugleich das große Glück mit jener Leichtigkeit abgebildet, die weder Theologen mit ihrem Bedürfnis nach Schwere noch Pädagogen mit ihren moralischen Mätzchen je erreicht haben.

Man schaue nur auf die Fünfte von links. Diese lichte Gestalt, die zart voranschreitet, barfuß, als sei der Boden die grüne Mooswiese des verheißenen Landes. Ihr kleines Öllämpchen – im Gleichnis der Prüfstein aller Wachheit – leuchtet hier geradezu unverschämt selbstverständlich. Nirgends zeigt diese Brautjungfer irgendeinen Mangel, keine Spur der kleinlichen Angst, die die Törichten umtreibt. Sie schreitet, als sei die Zukunft bereits Gegenwart. Und die Sechste – größer, fast zu groß geraten, von Paula Jordan mit einem leicht androgynen Zug versehen – beugt sich zu ihr, als wolle sie etwas vom Funken dieser Zuversicht auch für sich selber abfangen.

Man wage an dieser Stelle ein paar religionsgeschichtliche Seitenschritte. Die frühen Gleichnisse Jesu tragen jene eiserne Härte der orientalischen Unbeugsamkeit, die dem Menschen zuspricht, dass er nicht im Belieben seiner Stimmungen lebt, sondern im Angesicht eines kommenden Ernstfalls. Doch diese Härte wird – in der Kunst, im Märchen, im kindlichen Blick – in faszinierende Ornamentik verwandelt, die den Ernst nicht aufhebt, aber erträglicher macht. Kinderbibeln mit ihren scheinbar naiven Reservoiren goldener Linien und frommer Vereinfachungen, sind heimliche Mystagogietheater. Jedes Kind, das auf die fünfte Jungfrau Paula Jordans schaut, lernt nicht Moral, sondern Orientierung am Schönen. So möchte man selber auch sein. Oder etwa nicht?

Am Jungfrauen-Gleichnis des Matthäusevangeliums haben die meisten von uns ihre helle Freude. Und auch eine gewisse bösartige Klarheit, die alles Weltfromme in den Staub stampft, ist mit dabei. Zehn Jungfrauen! Zehn! Und fünf begreifen das Eigentliche nicht. Die anderen fünf aber triumphieren mit einer verständlichen Konsequenz, die viele biblische Geschichten so unerbittlich macht. Denn die Törichten – notorische Versagerinnen – müssen draußen bleiben. Das Weltgericht ist kein Spaß. Es kommt. Und wenn du kein Öl hast zum Brennen und Leuchten - das war’s dann.

Doch wir müssen an dieser Stelle wohl die Hand heben, um die Verhärtung des Gleichnisses etwas abzumildern. Denn die Lampen sind nichts Geringeres als das Sein des Menschen vor Gott: die Bereitschaft, sich berühren zu lassen, die Fähigkeit, das Kommen des Bräutigams überhaupt zu vernehmen. Eine Existenz ohne brennbares Öl – das in Licht umgewandelt werden kann – ist nicht moralisches Versagen, sondern metaphysische Müdigkeit. Wacht auf! Die fünf Klugen sind die Erwachten, die im Licht leben, noch bevor es dringend notwendig wird.

In Paula Jordans Zeichnung fällt das Gleichnis wie eine alte Münze auf neues Pflaster. Das Bild selbst wird zum Ersatz-Öl im seelischen Vorratsfläschchen: ein stilles, unerschöpfliches Reservoir. Wer dieses Bild in sein Leben aufnimmt, trägt sein eigenes Christenlehrelampenlicht aus dem Kinderzimmer weiter - und kann im Ernstfall seine inzwischen altgewordene Lampe auffüllen, nämlich - wenn sie zu verlöschen droht.

Die Fünfte von links lächelt nicht. Doch sie strahlt eine stille, unprätentiöse Zuversicht aus. Und das ist es, was den morgigen Ewigkeitssonntag eigentlich trägt – nicht das Brausen der Orgel, nicht der dumpfe Ernst liturgischer Strenge, sondern eine ätherische, beinahe unschuldige Erwartung. Diese Jungfrau, die wir nun – und jetzt darf es gesagt werden – zu unserer Lieblingsjungfrau erkoren haben, erinnert uns daran, was wir selber sein möchten. Und das Ölkrüglein, das, einmal gefüllt, nicht mehr leer wird, nehmen wir aus ihren zarten Händen gern entgegen - und tragen es weiter.

So wie der Krug der Witwe bei Elisa nicht versiegte, so versiegt auch dieses Bild nimmermehr. Wer es betrachtet, besitzt genug Öl für die Nacht – und für das Kommen des Bräutigams, der immer später kommt, als wir hoffen, und immer früher, als wir erwarten.

Autor:

Matthias Schollmeyer

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