Glaubensserie (1)
Warum Gott sich kleinmacht: Der Christushymnus – Philipper 2, Verse 6–11

- Bei Jesaja heißt es: "Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet." (Jesaja 66,13) Dies klingt im Christushymnus an.
- Foto: Halfpoint – stock.adobe.com
- hochgeladen von Online-Redaktion
Im Christushymnus des Philipperbriefes bringt Paulus den Weg und die Geschichte Jesu auf den Punkt: Es ist eine Herabbewegung Gottes, der den Menschen auf Augenhöhe begegnet.
Von Magdalena Herbst
Neulich beim Spaziergang an der Elbe: Ein kleines Mädchen war mit seinem Fahrrad gestürzt. Mit aufgeschürften Knien saß es nun schluchzend auf dem Asphalt. Die Mutter kam gelaufen, sagte gar nicht viel. Sie beugte sich einfach hinunter zu ihrem Kind, ging in die Knie, nahm es in den Arm, ließ sich das blutende Knie zeigen – bis das Mädchen getröstet war. Die Mutter hätte theoretisch auch neben ihr stehenbleiben können, aufpassen, dass nicht noch mehr passiert auf dem stark befahrenen Elbradweg. Sie hätte das Fahrrad wieder hinstellen können, das Mädchen hochziehen mit starken Armen … Stärkend, tröstend, heilsam aber war es, dass sie sich herabgebeugt hat.
Gott beugt sich herab. Davon singt das Lied, das Paulus in seinem Brief an die Philipper überliefert hat, der „Christushymnus“. Es ist ein Hymnus, den der Apostel wohl nicht selbst gedichtet hat. Das Lied wurde ihm schon vorgesungen. Es hat ihn offenbar so beeindruckt und auch in seiner eigenen Lebenslage – wie wir aus dem Philipperbrief wissen: im Gefängnis – geistlich so bewegt, dass er es zitierte und weitergab.
In dichter Poesie wird hier das Entscheidende besungen und gesagt, was Christen von Jesus Christus und Gott bekennen, was sie stärkt, was das Geheimnis, vor allem aber auch, was das Ärgernis des christlichen Glaubens ist: Gott beugt sich herab. Er behält nicht einfach nur souverän die Lage im Blick, von oben, er bleibt nicht in majestätischer Distanz, so wie Hölderlin von den Göttern dichtete: „Ihr wandelt droben im Licht / Auf weichem Boden, selige Genien! / Glänzende Götterlüfte / Rühren euch leicht …“. Der Gott, dessen Geschichte die Bibel überliefert, der in Christus ist, sich in seinem Leben offenbart, begibt sich aus eigenem innersten Antrieb auf Augenhöhe mit uns Menschen. Das Lied singt in ungewohnten, vielleicht sogar irritierenden Worten von Gott. Wenn wir „Gott“ sagen, denken wir vielleicht zuerst an Stärke und Macht, an Glanz und Größe, an Thron und Trompeten. Das ist verständlich und es ist auch menschlich. Setzen wir unsere Hoffnungen und Erwartungen nicht ohnehin gern auf Stärke, Entschiedenheit und Souveränität, auch unter uns?
Der biblische Gott, der sich in Jesus Christus zeigt, hat noch einen anderen Wesenszug. Er bleibt eben nicht in unnahbarer Distanz.
Der biblische Gott, der sich in Jesus Christus zeigt, hat noch einen anderen Wesenszug. Er bleibt eben nicht in unnahbarer Distanz. Christus macht einen Wesenszug Gottes offenbar, der keineswegs selbstverständlich ist: Gott nimmt teil an Schwäche, an Schmerzen und an Leiden. In plastischen Bildern singt das Lied davon:
Christus, in dem Gott selbst war, „entäußerte sich“, „nahm Knechtsgestalt an“ und „erniedrigte sich selbst“. Er gab sich selbst hin – ohne einen Plan B, einen Fluchtweg oder einen „Sicherheitseinbehalt“. Christus „hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein“, oder anders übersetzt: „das Gott-gleich-Sein nicht für Beutegut“ – also: nicht für einen Besitz, den er für sich selbst behielt.
Eine Mutter oder ein Vater, die sich zu ihrem weinenden, verletzten Kind beugen, um ihm nah zu sein, auf Augenhöhe zu begegnen und es zu stärken, haben keine Freude am Hinfallen oder an den Schmerzen. Ich meine: So ist es auch bei Gott. Auch im Hymnus, der den sich selbst herabbeugenden Gott besingt, geht nicht um eine Verherrlichung von Schmerzen und Ohnmacht, die Christus erleidet und auf sich nimmt.
Das Leid als Leiden, auch das, was wir Menschen tragen müssen, hat selbst keine erlösende Kraft. Im Gegenteil! Der Schmerz bleibt Schmerz, das Leid bleibt bitteres Leid. Aber: An Christus zeigt sich, wer Gott im Allertiefsten ist: Ein Liebender. Ein Kümmerer. Weil er wahrer Gott ist, hat er die wahre Größe, sich an unsere Seite zu stellen, menschlich zu werden wie wir. Deshalb beugt er sich zu uns herab, macht sich greifbar, angreifbar, verletzlich. Er teilt die Dunkelheiten unseres Lebens, bis in der bittersten Konsequenz am Kreuz. Es ist der Weg der Liebe. In ihr liegt die erlösende Kraft.
Wie gut, dass es nicht beim Leiden und bei den Schmerzen geblieben ist. Der, der sich herabbeugt, hat einen Namen, „der über alle Namen ist“. Damit alle Welt erkennen kann: In ihm beugt sich niemand anderes als der lebendige Gott zu uns herab.
Unser Schicksal ist nicht das Schicksal Jesu Christi. Wir können und sollen nicht wiederholen, was er getan hat. Aber sein Weg soll in uns Vertrauen wecken. Und einen Blickwechsel auftun: So stärkend und heilsam, so tröstend und lebensdienlich ist es, sich herabzubeugen. Nicht nur Stärke, Souveränität und Macht werden gebraucht, sondern oft und noch viel mehr das Herabbeugen, die Demut, einfach dabei zu sein und Schmerz zu teilen. Auch die Schwachheit, auch die Stille, auch die kleinen Gesten der Liebe werden von Gott gesegnet und gebraucht. „Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht …“
Gesprächsimpulse
• In welchen Lebenssituationen haben Sie die Stärke des Herabbeugens erfahren? Bringen Sie das mit Gott in Verbindung?
• "Gesinnt sein, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht" – Mit welcher "Kleinigkeit" könnten Sie persönlich beginnen?
Die Autorin ist promovierte Theologin und Studienleiterin im Pastoralkolleg Meißen.
Die nächste Folge (2):
Anselm Grün: Heilvolle Berührungen. Die Tocher des Jaïrus – Markus, Kapitel 5
Alle Informationen zur Glaubensserie unter:
was-glaubst-du.online



Autor:Online-Redaktion |
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.