Glaubensserie (25): Die Auferweckung des Lazarus
Die unerhörteste Tat Jesu

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Auf der anderen Seite der Ewigkeit: Jesus holt einen Verstorbenen zurück ins Leben. Was kann uns diese unglaubliche Geschichte – damals wie heute – sagen?

Von Schwester Nicole Grochowina

Was war wohl das Erste, das Lazarus getan hat, nachdem er von den Toten auferweckt worden war? Vermutlich war er zunächst irritiert, sehr irritiert sogar, schließlich war er tot – vier Tage lang, so erzählt es das Evangelium nach Johannes. Und nun war er ganz plötzlich wieder mitten im Leben – und am Leben. Jesus hat gerufen: »Komm heraus, Lazarus!« Komm heraus aus dem Tod, komm zurück ins Leben – nun aber als neuer Mensch, denn du bist ein Mensch, der den Tod gesehen und erlebt hat; du bist aber auch ein Mensch, der durch den Tod wieder ins Leben gerufen worden ist. Was also tust du als Erstes, nachdem du wieder da bist und doch jetzt alles ganz anders ist, weil du anders bist?

Doch zuvor hat Jesus sich Zeit gelassen auf dem Weg zum Haus von Martha und Maria und damit zum Haus, in dem Lazarus erst krank, dann sterbend, dann tot war und schließlich beweint wurde. Zwei Tage waren es – zwei Tage, in denen er mit seinen Jüngern fast noch gestritten hat, ob es klug sei, nach Galiläa zurückzukehren. Er war dafür. Sie aber haben darauf verwiesen, dass sie alle in Galiläa keine guten Erfahrungen gemacht hätten. Mit anderen Worten: Sie waren dort nicht erwünscht. Geradezu gottergeben hat dann aber Thomas, einer der Jünger, gesagt: »Lasst uns mit ihm gehen, dass wir mit ihm sterben.« So ernst war die Lage.

Zwei Tage also, in denen Lazarus letztlich schon gestorben war, aber kein Jesus war weit und breit zu sehen – und das, obwohl sie gute Freunde gewesen sind. So oft war Jesus in diesem Haus zu Gast gewesen, aber nicht einmal das konnte ihn bewegen, zügig zu Lazarus und seinen Schwestern zu kommen, um zu retten, was noch zu retten war. Und so starb Lazarus.

Doch nun war Lazarus plötzlich nicht mehr tot. Wie und warum, unklar. Klar ist allerdings: Das war eine zutiefst verwirrende Situation, denn wer kann in dieser Welt noch leben, wenn er oder sie diese schon einmal gänzlich verlassen hat? Wer kann vieles in dieser Welt noch wichtig nehmen, sich empören, sich ärgern oder sich einsetzen, wenn klar ist: Alles, wirklich alles endet an diesem einen Übergang und damit in diesem einen Moment, in dem wir Menschen einen Schritt zur Seite treten und so auf die andere Seite der Ewigkeit gelangen. Ist der Schritt zurück dann nicht ein Schritt von der Ordnung wieder ins Chaos, vom Großen ins Kleine, vom Licht in die Dunkelheit? Was also tut ein solcher Mensch als Erstes?

Nichts weniger als einen Neuanfang setzt Jesus hier: neues Leben, frei von Bindungen, die für Tod und das Ende allen Lebens stehen.

Lazarus ist erst einmal aus dem Grab herausgetreten. Das war sein erster Schritt. Und: Sein Gesicht war verhüllt mit dem Schweißtuch, Grabtücher hingen an seinen Füßen und Händen – mehr als deutlich war erkennbar, dass er nicht ein bisschen tot, sondern vollkommen tot gewesen ist. Und dann folgt das geradezu befreiende Wort Jesu: »Löst die Binden und lasst ihn gehen!«

Spätestens hier wird deutlich, dass es offenbar nicht darum geht, Jesus als Magier erscheinen zu lassen, der nach Belieben und damit auch willkürlich Menschen aus dem Tod zurück ins Leben ruft. Vielmehr ist dieser schmale Satz die Aufforderung an Lazarus, sich nun aufzumachen, aber es ist zugleich auch eine direkte Aufforderung an alle, die bis dato geweint, getrauert und sogar mit Jesus fast schon geschimpft haben: »Wärest du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben.« So hat es Martha gesagt, die Schwester von Lazarus. Gesagt hat sie es zu Jesus, als sie diesem entgegeneilt, als Jesus endlich, endlich den Weg nach Galiläa und damit zu Lazarus und seinen Schwestern findet. »Wärest du hier gewesen« – du kannst doch Krankheiten heilen. Was sie in diesem Moment nicht glaubt, ist, dass er auch vom Tod ins Leben, von der Bindung in die Freiheit und von der Verhüllung ins Licht rufen kann. Ja, Auferstehung, irgendwann, so sagt sie weiter, das glaube sie schon, aber dass Auferstehung auch im Hier und Jetzt geschehen kann, das ist ihr fremd – das ist aber auch zu unglaublich, zu großartig; da kommt Gott zu nahe, denn dann ist er so mitten im eigenen Leben und ruft und handelt.

Nun also geht die direkte Aufforderung an sie, an Maria, ihre Schwester, und an alle, die gekommen sind, um den Toten zu beweinen und die Schwestern zu trösten: »Löst die Binden und lasst ihn gehen!« Nichts weniger als einen Neuanfang setzt Jesus hier: neues Leben, frei von Bindungen, die für Tod und das Ende allen Lebens stehen. Doch nun – auf Jesu Wort hin – gibt es die Chance, neue Schritte zu gehen, neu anzufangen, anders auf das Leben zu schauen und deshalb auch das Leben anders zu leben. Oder eben auch: genauso zu leben, weil es ein gutes Leben war; weil es alles abgefordert hat und vollkommen sinnhaft war. Beibehalten, was dem Leben gedient hat und auch weiterhin dem Leben dient, auch das ist neues Leben.

So oder so, Lazarus geht die ersten Schritte in einer alten Welt, dies aber als neuer Mensch. Und bei allem Erschrecken begleitet ihn die Hoffnung vieler Menschen: die Hoffnung, auch einmal ganz neu anfangen zu können; den Tod und alles, was bindet, hinter sich zu lassen, frei aufzuatmen und mit einem neuen Blick neue Schritte gehen zu können, die vorher unmöglich erschienen sind, weil Menschen, Umstände, Misstrauen oder zu kleine Visionen dagegengesprochen haben. Was für eine Sehnsucht, von jetzt auf gleich den Neuanfang leben zu dürfen – und dies bei allem Erschrecken, dass dadurch im Umfeld, aber auch bei uns Menschen selbst ausgelöst wird.

Diese Sehnsucht ist groß, ebenso die Verzagtheit, den Schritt in den Tod, in das Herschenken all dessen, was vorher wichtig war, und dann durch den Tod zum Leben zu gehen. Vertraut ist vielmehr das tägliche Allerlei – und dies in seiner schönen, aber auch in seiner schrecklichen Variante. Unklar ist das Morgen, ist der Weg durch das Sterben zum Leben. Nicht einmal Martha glaubt daran, dass ein solcher Weg im Hier und Jetzt möglich sei. Auferstehung – das ist was für den Jüngsten Tag; wann auch immer dieser ist.

Kein Wunder also, dass Jesus »ergrimmt«, wie es im Evangelium heißt. Und er »ergrimmt« sogar gleich zweimal: Einmal, als er die Menschen um Lazarus weinen und seinen Tod beklagen sieht; und dann ein zweites Mal, als sie jammern, dass er, Jesus, doch in der Lage sei, Blinde sehend zu machen – warum aber sei er dann nicht rechtzeitig gekommen, um den Menschen zu heilen, der ihm doch in so besonderer Weise am Herzen liegt?

Kein Zweifel, der Tod wiegt schwer im Leben. Keine Träne der Trauer ist auszulachen, zu beschimpfen oder zurückzuweisen. Und doch geht es hier um etwas anderes: Sie sollen verstehen, dass sie größer denken dürfen, sehr viel größer. »Ich bin die Auferstehung und das Leben«, so groß formuliert es Jesus – und ebenso lapidar wie eindeutig hält er fest: »Wer glaubt, wird die Herrlichkeit Gottes sehen.« Und dann öffnet sich das Grab, österlich wird der Stein weggewälzt, Lazarus wird ins Leben gerufen und von allem befreit, was ihn bindet. Leben ist nicht verloren, Neuanfang ist möglich – auch wenn dieser mitten in der Nacht beginnt.

Klar ist das möglich. »Wer in der Nacht unterwegs ist, der stößt sich halt«, sagt Jesus zu seinen Jüngern. Besser also, den Schritt ins Licht zu machen und freie Sicht zu haben. Insofern: Das Erste, was Lazarus tut, ist dieser Schritt ins Licht. Und dieser Schritt zeigt: So etwas geht immer, denn für jedes Leben gilt: »Komm heraus aus dem Grab« – und die Fesseln werden gelöst.

Gesprächsimpuls

Stellen Sie sich vor, Sie würden heute sterben. Sie wären tot. Und morgen würden Sie leben. Was würden Sie morgen als Erstes tun?

Die Autorin ist Ordensschwester in der Communität Christusbruderschaft Selbitz.

was-glaubst-du.online

Nächste Folge:
Sintflut und Arche (1. Mose 6, Vers 5 – 1. Mose 9, Vers 17)

Schwester Nicole Grochowina | Foto: epd-bild/Heike Lyding
Die Auferweckung des Lazarus wird oft bildlich dargestellt, wie in der Kirche Chiesa di San Giorgio al Palazzo in Mailand. | Foto: Foto: Renáta Sedmáková – stock.adobe.com
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