über Don Quijote und die Dummheit
Miguel de Cervantes Saavedra

- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
Cervantes, Don Quijote und die Dummheit
heute, am am 29. September, feiern wir auch den Geburtstag des Schriftstellers Miguel de Cervantes Saavedra. Und es gehört zur Ironie der Weltgeschichte, dass dieser größte Autor Spaniens, vielleicht sogar Europas, die unsterbliche Figur des Ritters von der traurigen Gestalt nicht in Freiheit erfand, sondern im Gefängnis von Sevilla. Cervantes, der einarmige Veteran von Lepanto, der gescheiterte Steuereintreiber, der Schuldner und Angeklagte – er saß zwischen Flöhen, feuchten Mauern und Prozessen. Dort begann er mit den Skizzen zum Don Quijote.
Dieses wahrhaftig große Buch der europäischen Moderne entsteht also nicht im Studierzimmer, sondern im Knast. Das ist die erste Wahrheit, die man sich merken sollte: Große Literatur wächst nicht aus Behaglichkeit, sondern aus Druck, Mangel und Erniedrigung. Schreiben ist die Fortsetzung des Lebens mit anderen Mitteln - und führt zu einem verhaltenen Glück, dass einem niemand mehr rauben kann.
Die zweite Wahrheit betrifft den Stoff. Die Ritterromane der Zeit von Cervantes, der heute Geburtstag feiert, waren nichts anderes als das Netflix des 16. Jahrhunderts: Serienware, die Köpfe vernebeln und Herzen entzünden konnte - und dieses auch tatsächlich zuwege brachte. Cervantes nahm sich diese Mode zur Brust - und drehte sie um. Sein Ritter von der traurigen Gestalt ist Parodie und Feier zugleich, Spott und Hommage. Denn Don Quijote ist lächerlich – aber in dieser Lächerlichkeit überragt er alle, die ihn verlachen. Cervantes nahm das Opium seiner Zeit und destillierte daraus ein Gegengift, das zugleich Parodie und Liebeserklärung bleibt. Don Quijote ist kein bloßes Gelächter über Narrheit, sondern die tiefste Hommage an jene Torheit, die sich über die Welt erhebt, um sie zu retten.
Doch kein Wahnsinner überlebt allein. Darum tritt mit dem Ritter Sancho Pansa auf, der Bauchmensch, der Sprichwortklopfer, der Realist auf dem Esel. Jeder Don Quijote braucht seinen Sancho. Ohne ihn wäre man als Ritter längst im Straßengraben verendet. Mit Sancho aber entsteht das eigentliche Gleichgewicht der Welt: Traum und Bodenhaftung. Cervantes wusste: Der Flug ins Imaginäre lässt einen abstürzen, wenn man nicht von einem derben Realismus gehalten wird. Jede Vision braucht ihren Korrektiv-Clown, jede Utopie ihren Bauchmenschen, der das Fett der Welt in die Magermilch der Idee rührt. Don Quijote ohne Sancho wäre nur ein Selbstmörder in glänzender Rüstung, Sancho ohne Don Quijote bliebe ein kleinkarierter Pächter. Gemeinsam bilden sie das Gleichgewicht sympathischen Irrsinns und fauler Erdenschwere, ein Gleichgewicht also, das bis heute jede Politik, jede Philosophie, jede Ehe bestimmt. Auch die „geistliche Torheit” der Einen Heiligen Christlichen Kirche und ihrer besten Köpfe bedurfte immer des Volkes, das seinen Wanst mit Bratwurst füllen möchte, Glühwein trinken will - und nur dann stolz sein wird, wenn sich Viele auf einem Platz drängeln, Gruppen bilden und deftige Schwänke aufzuführen fordern, mehr als anstrengende philosophische Sentenzen. Tja …
Und genau an dieser Stelle komme nun noch ein anderer Gefängnisautor ins Spiel: Dietrich Bonhoeffer. Auch der schrieb hinter Gittern, auch der ging unter – aber vorher prägte er jenen Satz, der bis heute wohltuend in den Ohren aller Unbeugsamen klingt: „Es sind die Besten, die so untergehen.“ Don Quijote gehört für Bonhoeffer zu diesen Besten. Beide wurden von ihrer Zeit verlacht, eingesperrt, ausgeschaltet. Beide zeigen: Die Welt hat nie ein Problem mit Mitläufern, im Gegenteil. Sie hat aber ein Dauerproblem mit Idealisten.
Und Bonhoeffer setzte noch einen drauf: „Dummheit ist gefährlicher als Bosheit“ schreibt er im Zusammenhang mit seinen Überlegungen zum Don Quijote. Das ist die dritte Wahrheit, die Cervantes literarisch vorbereitet und Bonhoeffer philosophisch und theologisch ausspricht, damit wir das nie vergessen. Die Bosheit kann man erkennen und bekämpfen. Die Dummheit dagegen tarnt sich als Normalität, als Vernunft, als Mehrheit.
Wenn wir heute im Don Quijote lesen, dann erkennen wir, dass der Autor und seine Ritterfigur nicht gegen reale Windmühlen kämpften, sondern gegen genau diese Art realer idealloser Dummheit. Windmühlen sind die Metapher für das gesichtslose, das strukturlose, das übermächtige. Bilder für das Gestell und das Zeug, wie Heidegger diese Sache später auf den Begriff bringen wird. Wer sich darüber mockiert, dass der Don von der Mancha diese Riesendinger angriff, hat nicht verstanden, wie genau damit das Grundproblem politischer Realität beschrieben bleibt. Die wirklichen Gegner haben nie ein Gesicht – sie sind Systeme, Routinen, Gewohnheiten - und heute Algorithmen.
Darum - am Geburtstag des Cervantes - unsere Zeit leidet nicht an zu viel Bosheit, sondern in erster Linie erst einmal an zu viel Dummheit. Nicht die Tyrannen gefährden uns am meisten, sondern die Plauderer in Talkshows und die Veranstalter von dummen Unterhaltungs-Shows, wie sie z.B. für den kommenden 7.Oktober vorbereitet werden. Nicht die großen Bösen machen uns fertig, sondern erst einmal die kleinen Mitläufer in Kommentarspalten und Parlamentsreden, die die Komplexität des Ganzen im Namen „unseres gesunden Menschenverstands“ auf Sancho Pansa-Niveau herunterzerren.
Der Don Quijote von Cervantes ist ein Spiegel. Er zeigt sowohl, dass die Idealisten ohne Realisten verenden müssten – mehr noch aber auch, dass eine Welt ohne Idealisten furchtbar wäre. Wir lachen über den Ritter auf der Rosinante, weil wir uns selbst auslachen. Aber wir brauchen ihn, weil wir uns sonst aufgeben müssten. Cervantes hat uns also eine Lektion erteilt. Man muss diesen Autor, der am Michaelistag Geburtstag feiert, einfach kennen - und deshalb lesen. Bonhoeffer hat das Schicksal aller ähnlichen Leute in Worte gefasst. Und - Dummheit ist gefährlicher als Bosheit - denn sie lässt ihr freie Hand und bereitet ihr einen fruchtbaren Nährboden. Das alles sollten wir uns merken ...
Autor:Matthias Schollmeyer |
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