Predigt
Vergeben braucht Zeit

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Segnet die, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen. Lukas 6, Vers 28

Das ist doch eine Zumutung, Jesus. Ich soll die lieben, die mich verletzen, segnen, die mir Böses wollen, beten für die, die mich beleidigen? Du weißt doch, was es bedeutet, enttäuscht, verletzt, verraten, verleugnet, verlassen zu werden.

Von Gisela Merkel

Warst du nicht auch wütend? Ich muss doch nach einer Verletzung meine Gefühle verarbeiten, sie durchleiden, damit sie nicht immer wieder hochkommen. Oder? Wir alle kennen nach Verletzungen Trauer und Schmerz, manchmal auch Wut und Zorn. Haben wir diese starken Gefühle intensiv durchlitten, kann wieder innere Gelassenheit und Frieden einkehren.

Die zu segnen, für sie zu beten, sie zu lieben, die mich massiv verletzt haben, ist ein Reifungsprozess, der Zeit braucht. Aber ich weiß, Jesus, du ermutigst uns, nicht in der Spirale von Wut und Hass steckenzubleiben. Solange wir jemanden hassen oder wütend auf ihn sind, können wir ihn nicht wirklich loslassen, können wir nicht frei werden und Frieden finden.

An diesem Wochenende begehen wir den 9. November. Wir erinnern uns an das Leid, das Juden in der Pogromnacht 1938 widerfuhr. Und wir denken auch an die, denen großes Leid in Konzentrationslagern zugefügt wurde. Die Jüdin Eva Kor zum Beispiel wurde gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester für medizinische Versuche in Auschwitz ausgewählt. Sie haben Furchtbares erlebt. Nach ihrer Befreiung hat sich Eva Kor stark für Aufklärungs- und Versöhnungsarbeit eingesetzt.

2015 passierte etwas, das mich noch heute tief in meinem Innersten berührt. Bei einem Auschwitz-Prozess gegen einen Naziverbrecher zeigte dieser Reue und bat um Vergebung. Eva Kor reichte dem Angeklagten später die Hand und umarmte ihn als Geste der Versöhnungsbereitschaft. Sie meinte, dass ihr Verhalten aus Eigennutz entstanden sei. Sie habe den Tätern verziehen, „nicht weil sie es verdienen, sondern weil ich es verdiene“. Sie als Opfer habe das Recht, irgendwann frei zu sein. Man könne nicht frei sein von dem, was einem angetan wurde, wenn man diese „tägliche Last aus Schmerz und Wut“ nicht ablegt. Sie habe ihm vergeben, um sich von der Last des Hasses zu befreien.

Jesus, ich erkenne, dass das Loslassen von Wut, Hass und Zorn wichtig ist und dass Liebe und Versöhnung Heilung bewirken können. Trotz allem. Das ist tröstlich für mich.

Die Autorin ist Pfarrerin in Dresden.

Pfarrerin Gisela Merkel  | Foto: G. Merkel
Autor:

Online-Redaktion

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