Ein bisschen evangelischer
Reformiert - was heißt das eigentlich?

Der 750-jährige Dom von Halle ist eine außergewöhnliche reformierte Kirche. | Foto: epd-bild/Steffen Schellhorn
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Der Dom in Halle feiert sein 750-jähriges Jubiläum. Seit 1688 ist die prächtige Kirche das Zuhause einer reformierten Gemeinde. Über Schweizer Reformatoren, Bibelverständnis und eine doppelte Diaspora.

Von Kathrin Oxen

In Mitteldeutschland ist die Reformation zuhause. Selbst in der heutigen säkularisierten Situation ist vielen Menschen spätestens seit dem Reformationsjubiläum 2017 bewusst, dass sich zwischen Wittenberg und der Wartburg für die Entstehung der heutigen evangelischen Kirche wichtige Ereignisse abgespielt haben. Dass es aber auch noch innerhalb von „evangelisch“ Unterschiede gibt, ist selbst vielen evangelischen Christen nicht bewusst. Von sich selbst würden evangelisch-reformierte Christen vielleicht sogar sagen: Wir sind noch ein bisschen evangelischer.

Denn Martin Luthers Anstöße zu einer notwendigen Reform der damaligen katholischen Kirche haben nicht nur in Mitteldeutschland ihre Wirkung entfaltet. Europaweit wurden sie aufgenommen und weitergedacht. In der Schweiz nahmen die Reformatoren Ulrich Zwingli und vor allem Johannes Calvin Luthers Denkanstöße zum Anlass, über eine „nach Gottes Wort reformierte Kirche“ nachzudenken. Sie waren darin sehr konsequent: Wenn eine Kirche sich nach Gottes Wort neu ordnen will, dann muss allein die Bibel der Maßstab für alle kirchliche Lehre und das gemeindliche und gottesdienstliche Leben sein.

Um nur ein Beispiel zu nennen: Das Bilderverbot durchzieht das ganze Alte Testament. In seiner Zusammenfassung der Zehn Gebote hatte Martin Luther das Bilderverbot vor dem Hintergrund innerreformatorischer Auseinandersetzungen nicht eigens benannt. Die Reformierten hielten dagegen an der biblischen Zählung fest und bezogen das Bilderverbot auch auf die Gestaltung ihrer Kirchenräume. Selten sind in reformierten Kirchen Bilder oder bunte Fenster zu finden, meistens auch kein Kreuz.

Zwingli und Calvin waren überzeugt, dass Christen durch Jesus Christus in den unverbrüchlichen Bund Gottes mit Israel mit hineingenommen worden sind. Das Alte Testament genießt von daher unter Reformierten die gleiche Würde und Bedeutung wie das Neue Testament. So hielt Calvin die Psalmen als Grundlage des gottesdienstlichen Gesangs für vollkommen ausreichend.

Reformierte Gottesdienste sind noch deutlicher als bei Martin Luther vom katholischen Ritus abgesetzt. Sie konzentrieren sich auf Lesung, Gebete und die Auslegung des Wort Gottes in der Predigt. Um das Verständnis des Abendmahls entbrannte in der Reformationszeit ein heftiger Streit zwischen Lutheranern und Reformierten. Die innerevangelischen Zerwürfnisse um das Abendmahl konnten erst 1973 in der sogenannten „Leuenberger Konkordie“ beigelegt werden.

Genau wie in der aktuellen Diskussion zwischen evangelischer und katholischer Kirche markiert auch das Amtsverständnis einen deutlichen Unterschied zwischen eher lutherisch und eher reformiert geprägten Kirchen und Gemeinden. Die reformierte Kirchenordnung ist konsequent anti-hierarchisch angelegt. Bei der Emder Synode 1571 wurde festgehalten, dass „keine Gemeinde über andere Gemeinden, kein Pastor über andere Pastoren, kein Ältester über andere Älteste, kein Diakon über andere Diakone den Vorrang oder die Herrschaft beanspruchen soll.“ Zum Pfarramt kommen die Ämter der Ältesten, Lehrer und Diakone hinzu. Bis heute ist es beispielsweise in reformiert geprägten Gemeinden unüblich, dass Pfarrer oder Pfarrerin den Vorsitz des Presbyteriums, also des Leitungsgremiums der Gemeinde, übernehmen.

In das lutherische Mitteldeutschland kamen die Reformierten im 17. Jahrhundert als Glaubensflüchtlinge aus Frankreich. Der Große Kurfürst Wilhelm von Brandenburg lud sie mit dem Edikt von Potsdam ab 1685 in sein Land ein. Nicht nur aus Gründen religiöser Toleranz, sondern auch, weil er sich durch den Zuzug einen wirtschaftlichen Aufschwung versprach. In Stendal, Werben, Magdeburg, Halle und Calbe wurden die ersten „Colonien“ gegründet. Die Integration der Zuwanderer glückte – beinahe ein bisschen zu gut. Denn heute sind von den einst fast 40 reformierten Gemeinden nur noch fünf kleine Gemeinden in Aschersleben, Burg, Halberstadt, Halle und Magdeburg übrig. Zusammen bilden sie den Reformierten Kirchenkreis in der EKM.

Durch die Entwicklungen nach 1945 sind die Reformierten in Mitteldeutschland in die Situation einer „doppelten Diaspora“ geraten. Als Christen in einem säkularisierten Umfeld zu leben und dann auch noch „anders evangelisch“ zu sein, das ist nicht immer einfach. Doch die Klarheit und Konsequenz, mit der die Reformierten „ein bisschen evangelischer“ sind, bleibt bis heute anziehend.

Die Autorin ist Pfarrerin an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche Berlin und Repräsentantin des Reformierten Bundes in Deutschland. 

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