Margot Friedländer
"Unsere Demokratie braucht Menschen wie Sie"

Foto: epd-bild / Christian Ditsch

"Versuche, dein Leben zu machen" - dieser Satz ist Margot Friedländer von ihrer Mutter geblieben, bevor sie mit ihrem Sohn Ralph, Margots Bruder, deportiert und in Auschwitz ermordet wurde. Der von der Mutter hinterlassene Satz ist auch der Titel von Friedländers Autobiografie, die beschreibt, was es hieß, als Jüdin versteckt in Berlin zu leben - und zu überleben.

Von Leticia Witte

Nach dem Krieg ging sie mit ihrem Mann Adolf in die USA und kehrte 2010 wieder dauerhaft in ihre Geburtsstadt zurück. Sie ist eine bekannte Zeitzeugin, die ihre Erlebnisse weiterträgt und über die NS-Verbrechen spricht, vor allem mit Schülern.

"Unsere Demokratie braucht Menschen wie Sie", betonte am Montag in Berlin Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier laut Redemanuskript, als Friedländer mit dem Walther-Rathenau-Preis 2022 geehrt wurde.

Steinmeier dankte der Überlebenden für das "Geschenk der Versöhnung" - und die persönliche Freundschaft. Als Zeitzeugin habe sie Erinnerung geschenkt, indem sie erzähle, und Zukunft, indem sie erinnere. Und Steinmeier hob auch Friedländers Engagement für junge Menschen hervor. "Das ist es, was Sie uns aufgeben, was Sie den nächsten Generationen mit auf den Weg geben. Seid Menschen!"

Das Staatsoberhaupt erinnerte an den sehr persönlichen Satz ihrer Mutter: "Versuche, dein Leben zu machen." Im vergangenen Jahr erst feierte Friedländer ihren 100. Geburtstag. Zur Welt kam sie am 5. November 1921 in Berlin als Margot Bendheim. Nach der Schule arbeitete sie in einer Schneiderei, ab 1940 musste sie Zwangsarbeit leisten. Ihre Familie hatte versucht, vor den Nationalsozialisten in die USA zu fliehen - vergeblich.

Dann kam der 20. Januar 1943: Die 21-jährige Margot wollte sich mit ihrem Bruder und ihrer Mutter treffen, um die Flucht vorzubereiten. Doch ihr Bruder war kurz zuvor abgeholt worden, und auch die Mutter kam nicht zu dem vereinbarten Treffpunkt.

Die Mutter hinterließ bei Nachbarn eine Botschaft für ihre Tochter: "Ich habe mich entschlossen, zur Polizei zu gehen. Ich gehe mit Ralph, wohin auch immer das sein mag. Versuche, dein Leben zu machen." Was ihr noch von ihrer Mutter blieb: deren Handtasche mit einem Adressbüchlein und einer Bernsteinkette.

Und viele Fragen. "Warum hat meine Mutter nicht gewartet? Sie hat sich für meinen Bruder entschieden", schreibt sie. Für Margot Friedländer begann das Leben im Untergrund, von Versteck zu Versteck. Sie schreibt: "Der Tag, an dem ich untertauche, nehme ich den Judenstern ab." Sie ging ohne Ziel durch die Straßen, einfach um zu gehen. Sie bekam Adressen für ganz unterschiedliche Verstecke, von jedem Abschied musste sie annehmen, dass er für immer war.

Friedländer schaffte es, insgesamt 15 Monate lang von Unterschlupf zu Unterschlupf im Untergrund zu bleiben. Doch dann geriet sie im April 1944 in die Hände von "Greifern" - das waren Juden, die für die Gestapo arbeiteten, versteckte Juden aufspürten und auslieferten. Sie wurde nach Theresienstadt gebracht.

Theresienstadt sei ein "Zwischenreich" gewesen, "nicht Leben, nicht Tod", erinnert sich Friedländer. "Eine Frage bestimmte unser Leben: Wie viel kann der Mensch aushalten?" Um sie herum Hunger, Elend, Halbtote und Tote. Sie sei jedoch entschlossen gewesen, zu überleben.

So ist es dann gekommen, ihre Familienmitglieder jedoch waren tot. Ihrer Mutter habe sie sich immer nahe gefühlt, so Friedländer. In Theresienstadt war sie Adolf begegnet, den sie aus Berlin kannte, und der später ihr Ehemann werden sollte. Nach der Befreiung des Lagers und dem Ende des NS-Terrorregimes wanderte Friedländer mit ihrem Mann 1946 in die USA aus.

Seit 2010 lebt Friedländer wieder in Berlin und tritt als Zeitzeugin auf. Im Rahmen ihres Engagements erhielt sie etwa 2021 für Verdienste im christlich-jüdischen Dialog die Jeanette-Wolff-Medaille. 2011 bekam sie das Bundesverdienstkreuz am Bande. Und in diesem Jahr jüngst die Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin. Laut Uni wurden damit ihre Verdienste "als Zeitzeugin der Verfolgung und des Überlebens in der Schoah, als engagierte Anwältin öffentlicher Geschichte, als Botschafterin der Erinnerung und der Menschlichkeit für jüngere Generationen" gewürdigt.

(kna)

Autor:

Online-Redaktion

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