Kirchenkreis Stendal
Deutschlands ältester Polizeiseelsorger geht in den Ruhestand

Immer erkennbar an der orangefarbenen Jacke: Michael Kleemann ist Deutschlands dienstältester Polizeiseelsorger. | Foto: epd-Bild/Viktoria Kühne
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Polizisten und Feuerwehrleute erleben in Einsätzen oft schlimme Dinge. Seelsorger sollen ihnen helfen, das Geschehen zu verarbeiten. Einer der Pioniere auf diesem Gebiet ist Pfarrer Michael Kleemann. Er ist heute der dienstälteste Polizeiseelsorger.

Von Oliver Gierens

Seine orangefarbene Weste mit der Aufschrift „Polizeiseelsorger“ auf dem Rücken hängt immer griffbereit im Schrank. Unzählige Male hat sie Michael Kleemann in den vergangenen 27 Jahren übergezogen und ist mit Polizisten in Einsätze gegangen, die keiner so schnell vergisst: Schwere Unglücksfälle, der Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt an Weihnachten 2024. Im Hauptberuf ist Kleemann evangelischer Pfarrer und Superintendent im Kirchenkreis Stendal. Und er ist aktuell Deutschlands dienstältester Polizeiseelsorger, zuständig für die Polizeiinspektion Stendal. Ende des Monats gibt er das Amt aus Altersgründen ab.

Alles begann mit einem furchtbaren Autounfall

Noch etwas länger - gut 30 Jahre - kann Kleemann auf seine Dienstzeit als Notfallseelsorger zurückblicken. Unfallopfern und Zeugen beistehen, Angehörige nach einer Todesnachricht betreuen - es sind schwere Schicksalsschläge, die der Pfarrer in den drei Jahrzehnten erlebt hat. So zum Beispiel ein verheerendes Unglück mit einem Feuerwehrfahrzeug in Glindenberg bei Wolmirstedt. Junge Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr waren zu einer Übung unterwegs, als sie mit einem Auto zusammenstießen. Vier Jugendliche im Alter von 20 und 22 Jahren starben.

Bis heute hat Kleemann diesen Unfall im Gedächtnis behalten, weil er bis zum vergangenen Jahr selbst im aktiven Dienst der Feuerwehr angehörte. 1993 trat er in die Feuerwehr ein - auch wegen eines Unglücksfalls. Südlich von Magdeburg waren bei einem Autounfall nach einer Abiturfeier vier junge Menschen gestorben. Da habe ihn der Feuerwehrchef angesprochen: „Da hätten wir Dich gut gebrauchen können.“ Dieser Impuls habe ihn nicht mehr losgelassen, erzählt Kleemann. „Am besten wirst Du selbst Feuerwehrmann, dann weißt Du, wovon Du redest“, habe er sich damals gedacht.

Bilder gingen ihm nicht aus dem Kopf

Während der Ausbildung kam er mit Dozenten ins Gespräch, die anfingen, eine Notfallseelsorge aufzubauen. „Dort ist dann die Idee entstanden, eine Art Nachsorgemodul zu entwickeln“, berichtet der Pfarrer. „Da bin ich mit rausgefahren zu den Einsätzen und habe kennengelernt, wie sich das anfühlt, jemanden aus dem Autowrack herauszuschneiden.“ Und er merkte, dass die Bilder im Gedächtnis immer wieder auftauchen.

Er nahm mit Psychologen Kontakt auf, las sich in das Thema ein und ging zu den zuständigen Behörden, um ein Team aufzubauen. „Da bin ich eigentlich nur auf offene Türen gestoßen“, berichtet er. Schnell habe sich herausgestellt, dass es zwei Gruppen gibt, für die es Seelsorge geben sollte: einerseits die Einsatzkräfte wie Polizei, Rettungssanitäter und Feuerwehr, andererseits die Unfallbeteiligten wie Opfer, Angehörige oder Augenzeugen.

Kleemann war Vorreiter in Sachsen-Anhalt

„Heute sind Notfallseelsorger in keinem Landkreis mehr wegzudenken“, sagt Kleemann. Zusammen mit anderen war er einer der Pioniere, die damals begannen, professionelle Strukturen aufzubauen: „Ich war in Sachsen-Anhalt der Erste, der so ein System begründet hat.“

Über die Feuerwehr kam später auch die Polizeiseelsorge hinzu: „Die Polizei hat als Erstes gesagt, wir würden Euch brauchen, wenn wir Todesnachrichten überbringen.“ Diese Arbeit müssen zwar die Beamten selbst erledigen: „Aber der Überbringer der schlechten Nachrichten kann nicht gleichzeitig der Tröster sein.“
Kleemann kümmert sich auch um die Polizisten selbst, begleitet sie in schweren Einsätzen. Auch um das Thema Schuld geht es in der Polizeiseelsorge, etwa wenn ein Beamter zur Waffe gegriffen hat. Psychologen sprechen von einem „Post-Shooting-Trauma“.

Auch Privates kommt auf den Tisch

Dass er Pfarrer in einer Region ist, in der nur wenige Christen leben, war für ihn meistens kein Problem. Viele Polizisten hätten gesagt, „auch wenn Du mit Kirche nichts zu tun hast - der ist ganz okay, da kannst Du mal hingehen.“ Da sei es in Gesprächen um Eheprobleme gegangen oder um Sucht und Schulden. Für Dinge, die im Einsatz passiert sind, gibt es mittlerweile einen Betreuungserlass, an dem Kleemann mitgewirkt hat. Dort ist geregelt, dass jeder Polizist nach schwierigen Einsätzen automatisch betreut wird.

Nun gibt Michael Kleemann die Polizeiseelsorge in jüngere Hände. In einem Gottesdienst am 22. August um 11 Uhr in der Wallonerkirche in Magdeburg wird Otto-Fabian Voigtländer als sein Nachfolger eingeführt. Zugleich wird Werner Meyknecht neuer Polizeiseelsorger für die Polizeiinspektion Halle.

(epd)

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Oliver Gierens

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