Eine Welt ohne Grautöne

"Die kleine Missionsglocke" erschien erstmals im Jahr 1900 als Kindermissionszeitschrift des Leipziger Missionswerkes. | Foto: Leipziger Missionswerk LMW
  • "Die kleine Missionsglocke" erschien erstmals im Jahr 1900 als Kindermissionszeitschrift des Leipziger Missionswerkes.
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Als im Zuge der protestantischen Erweckungsbewegung und der katholischen Erneuerungsbewegung im frühen 19. Jahrhundert auch im deutschsprachigen Europa eine Missionsbewegung einsetzte, suchten die Missionsgesellschaften nach Möglichkeiten, um für ihre Arbeit zu werben und Spenden für die stetig wachsenden Ausgaben zu generieren. Ein wesentliches Element stellten dabei Missionszeitschriften dar, die durch neue technische Möglichkeiten zunehmend kostengünstig in großer Stückzahl produziert werden konnten.
Ab der Jahrhundertmitte druckten die ersten Missionsgesellschaften zusätzlich auch eigene Blätter für Kinder. Spätestens seit der deutschen Kolonialzeit gaben fast alle deutschen Missionsgesellschaften Kindermissionszeitschriften heraus, die mit teilweise sechsstelligen Auflagen in vielen Fällen zu ihren erfolgreichsten Publikationsformen wurden. Dieser Erfolg resultierte nicht nur aus privat abgeschlossenen Abonnements. Zusätzlich wurden Kindermissionszeitschriften in Kindergottesdiensten und evangelischen Sonntagsschulen eingesetzt.
Gerade diese vielfältigen Distributionsformen führten dazu, dass auch Kinder aus ertragsschwächeren Gesellschaftsschichten durch die Zeitschriften eine Möglichkeit erhielten, etwas von der außereuropäischen Welt zu er-fahren.
Um das Hauptziel ihrer Kinderzeitschriften – die Generierung von Spenden – zu erreichen, musste die Mission wenigstens als sinnvoll, am besten jedoch als zwingend notwendig beschrieben werden. Aus diesem Grund konstruierten die Autorinnen und Autoren alle Andersgläubigen als hilfsbedürftig. Dazu bedienten sie zahlreiche zeitgenössische kolonialrassistische Stereotype und vermischten diese mit christlichen Heilsvorstellungen. Immer wieder liest man in Kindermissionszeitschriften, dass die meisten Chinesen spielsüchtig seien oder die Bevölkerungsgruppen Afrikas unzivilisiertes Verhalten zeigen würden.
Die einzige Erlösung dieser konstruierten Zustände sei die Bekehrung zum Christentum. Deshalb sind zahlreiche Berichte in Kindermissionszeitschriften wie Vorher-Nachher-Geschichten aufgebaut: Dass ein zunächst als „Heide“ stigmatisierter, elend lebender Protagonist von christlichen Missionaren getauft wird und anschließend ein vermeintlich gutes Leben führt, weil er seine Lebensweise an europäisch-bürgerlichen Tugenden ausgerichtet hat, ist eine der gängigsten Erzählungen in Kindermissionszeitschriften. Vielfach bedienten die Autorinnen und Autoren dabei das Narrativ einer vermeintlichen Zivilisierungsmission, das gerade im 19. Jahrhundert von vielen verschiedenen europäischen Interessengruppen vorgebracht wurde, um koloniale Unternehmungen zu rechtfertigen.
Die jungen Leser der Kindermissionszeitschriften sollten durch solche Erzählungen lernen, dass es eine zweigeteilte Welt mit klar festgesetzten Zuschreibungen gibt: Auf der einen Seite stehen die mit positiven Attributen beschriebenen Christen, auf der anderen die negativ porträtierten Andersgläubigen. Für Grautöne war in dieser Darstellung kaum Platz. Dadurch, dass die Missionare als Retter von vermeintlich hilfsbedürftigen „Heiden“ konstruiert wurden, trugen Kindermissionszeitschriften auch dazu bei, bereits im Kindesalter europäische Hegemonialvorstellungen zu vermitteln. Die junge Leserschaft sollte vor dem Hintergrund der Lektüre entscheiden, wo ihr Platz in dieser zweigeteilten Welt sein soll. Verhalten sie sich eher wie die Missionare, oder zeigen sie Verhaltensweisen, die von den Kindermissionszeitschriften schlicht mit dem „Heidentum“ assoziiert wurden?
Um diese Entscheidung in einem letzten Schritt zugunsten des Christentums ausfallen zu lassen, knüpften die Autoren in vielen Fällen das Seelenheil der Kinder an das Seelenheil der Andersgläubigen: Ein guter Christ sei gerade der, der aufopferungsvoll für die Mission betet und spendet und dadurch in der besonderen Gunst Gottes stehen würde.Stefan Dixius

Der Autor ist Doktorand am Lehrstuhl Internationale Geschichte an der Universität Trier. Kindermissionszeitschriften "Die jungen Leser sollten durch solche Erzählungen lernen, dass es eine zweigeteilte Welt mit klar festgesetzten Zuschreibungen gibt"

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