Entschlüsselung der Hieroglyphen
Ein Stein, drei Schriften

Der Nachbau des Ramsestores von Jaffa (1500-1200 vor Christus). Ramses II., dessen Hieroglyphen auf den Fundstücken zu lesen sind, war der ägyptische Pharao, vor dem die Israeliten nach dem biblischen Bericht aus Ägypten nach Israel flohen. | Foto:  epd-bild / Thomas Rohnke
  • Der Nachbau des Ramsestores von Jaffa (1500-1200 vor Christus). Ramses II., dessen Hieroglyphen auf den Fundstücken zu lesen sind, war der ägyptische Pharao, vor dem die Israeliten nach dem biblischen Bericht aus Ägypten nach Israel flohen.
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Der Franzose Champollion legte im Jahr 1822 einen Schlüssel zum Lesen der altägyptischen Schrift vor. Dabei halfen ihm Inschriften auf einem Zufallsfund aus Nordägypten.

Nils Sandrisser

Zwei Ovale brachten ihn auf die entscheidende Idee. Der Sprachwissenschaftler Jean François Champollion (1790-1832) grübelte, was die ovalen Umrandungen, die eine Gruppe von Hieroglyphen in einem ägyptischen Text einschlossen, wohl bedeuten mochten. Der Text war Teil einer Abschrift von Zeichen, die in den
1799 entdeckten «Stein von Rosetta» aus Nordägypten gemeißelt worden waren.

Unter den Hieroglyphen standen zwei weitere Texte: einer in demotischer Schrift, die das einfache Volk in Ägypten nutzte, und ein Text auf Griechisch. Alle drei Texte waren gleichen Inhalts, davon ging Champollion aus. Aber lesen konnte er den Hieroglyphen-Teil nicht, denn die Bedeutung der allermeisten dieser Zeichen war damals unbekannt.

Seine Idee: Die Hieroglyphen könnten Zeichen für Konsonanten sein, ähnlich wie in unserem Alphabet. Das war damals neu. Man glaubte, dass die Schrift der alten Ägypter eine reine Bilderschrift seien und je eine Hieroglyphe für einen bestimmten Begriff stehe.

Champollion löste sich von dieser Vorstellung. Er interpretierte die Zeichen in den Ovalen als Königsnamen, die im griechischen Text standen: Ptolemaios und Kleopatra. Als er die Zeichen dann mit den Konsonanten der Namen in Verbindung brachte, konnte er plötzlich vieles aus dem ägyptischen Text lesen und verstehen.

Am 27. September 1822, vor 200 Jahren, stellte Champollion anderen Forschern seine Ergebnisse vor. Die Fachwelt nahm sie aber ziemlich ungnädig auf und zweifelte die Erkenntnisse an. Champollion veröffentlichte sie dennoch unter dem Titel «Lettre à M. Dacier relative à l écriture des hiéroglyphes phonétiques» und allmählich wurde ihm die verdiente Anerkennung zuteil.

Champollions Durchbruch war aber nicht allein seine eigene Leistung. Er profitierte von der Arbeit vieler Vorgänger. Bereits der arabische Gelehrte Ibn Wahschiyya hatte es im 9. Jahrhundert geschafft, einige der Zeichen zu entziffern.

Und die Idee, dass die Hieroglyphen in den ovalen Kartuschen Königsnamen sein könnten, war vielleicht nicht Champollions eigene.
«Der Engländer Thomas Young erkannte im hieroglyphischen Text den Namen des Königs Ptolemaios, allerdings war seine Lesung noch teilweise fehlerhaft», sagt die Ägyptologin Simone Gerhards von der Mainzer Gutenberg-Universität. «Inwieweit Champollion von den Ergebnissen Youngs wusste, ist bislang nicht geklärt.»

Aber Champollion brachte Kenntnisse des Koptischen in seine Forschungen mit. Das war entscheidend, denn diese Sprache basiert auf dem alten Ägyptisch. So konnte er Strukturen und Bedeutungen der Hieroglyphen erkennen.

Das alte Ägypten war in Europa damals schon seit mehr als zwei Jahrzehnten ein hippes Thema. Seit Napoleons Feldzug am Nil ab dem Jahr 1798 begeisterte sich das europäische Publikum für die Welt der Pharaonen und Pyramiden, viele Ausstellungen befassten sich damit.

Das damalige öffentliche Interesse hatte auch viel mit der Bibel zu tun, wie der Ägyptologe Friedhelm Hoffmann von der Ludwig-Maximilians-Universität in München erklärt: «Die Forschungen über das alte Ägypten boten zum ersten Mal die Möglichkeit, den Wahrheitsgehalt des Alten Testaments unabhängig von der Bibel zu überprüfen.»

Hintergrund

Seit die ägyptischen Quellen lesbar sind, hat die Forschung etliche Hinweise auf Ereignisse und Menschen gefunden, die auch im Alten Testament beschrieben werden. In der Regel sind die Bezüge aber nicht eindeutig. Einige Beispiele:

  • Israel: Die älteste Erwähnung des Namens «Israel» stammt von der sogenannten Merenptah-Stele aus dem Jahr 1208 v. Chr., die in Theben gefunden wurde, einer der Hauptstädte des alten Ägyptens. «Israel liegt brach und hat kein Saatkorn» steht darauf. Das könnte ein Hinweis auf eine Hungersnot sein. In der Bibel ist immer wieder von Hungerphasen die Rede. Das erste Buch Mose berichtet, das Volk Israel sei wegen einer Hungersnot nach Ägypten gezogen.

  • Hebräer: In ägyptischen Quellen ist von Menschen namens Aperu die Rede, in babylonischen Quellen heißen sie Habiru. Damit könnten die Hebräer gemeint sein. Allerdings meint der Begriff «Aperu» ursprünglich kein einheitliches Volk, sondern verachtete soziale Randgruppen unterschiedlicher Herkunft. Aus der Regierungszeit der Pharaonen Amenophis II. (ca. 1428-1397 v. Chr.) und Ramses II (1279-1213 v. Chr.) sind schriftliche Zeugnisse erhalten, die erwähnen, dass Aperu Zwangsarbeit verrichten mussten. Eine schwere Fron ist laut dem zweiten Buch Mose der Grund dafür, warum das Volk Israel Ägypten verlässt und ins Heilige Land zieht.
  • Philister: Die Philister, die den biblischen Büchern Samuel zufolge bis zum Regierungsantritt König Davids eine ständige Gefahr für die Israeliten waren, könnten mit den «Peleset» gemeint sein. Die «Peleset» tauchen in Texten aus der Regierungszeit des Pharao Ramses III. (1187-1156 v. Chr.) auf.

Napoleons Feldzug lieferte auch den letzten Schlüssel, den Champollion brauchte, um den Hieroglyphen-Code zu knacken: den Stein von Rosetta. Arbeiter fanden das Basaltstück zufällig bei Befestigungsarbeiten der Franzosen unweit von Rosetta im nördlichen Ägypten. Heute steht es in London im Britischen Museum.

Der Stein, der einmal Teil einer Stele war, enthält in den drei Sprachen ein Dekret des Königs Ptolemaios V. aus dem Jahr 196 v. Chr. mit Anweisungen zum Personenkult um den Herrscher. Wobei sich später herausstellte: Nur einige Hieroglyphen stellen, wie von Champollion vermutet, Buchstaben dar. Einige stehen tatsächlich für komplette Begriffe - so, wie man zuvor vermutet hatte.

Andere wiederum sind sogenannte Determinative, wie der Münchener Ägyptologe Hoffmann erläutert: «Sie geben eine Sachkategorie vor. Sie zeigen an, ob ein Begriff ein Gebäude, eine Pflanze, eine Tätigkeit oder sonst etwas meint.» Bis heute, sagt Hoffmann, gebe es einige Hieroglyphen, die noch nicht entschlüsselt seien. «Aber das sind ganz wenige.» Für die meisten dieser noch unbekannten Zeichen existierten aber schon Vorstellungen, was sie bedeuten könnten. Andere könne man zwar lesen, wisse aber nicht, was die Worte bedeuteten.

Auch Champollion wusste, dass sein Durchbruch noch nicht die komplette Entschlüsselung des Hieroglyphen-Codes war. Er forschte weiter über das alte Ägypten, aber viel Zeit blieb ihm nicht mehr: Er starb am 4. März 1832 mit gerade 42 Jahren an einem Schlaganfall.

(epd)

Autor:

Online-Redaktion

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