Nachgefragt
Evangelischer Propst in Jerusalem: "Ich bin Pastor, und ich bete"

Joachim Lenz | Foto:  epd-bild/Jan-Erik Nord

Der evangelische Propst in Jerusalem und frühere Direktor der Berliner Stadtmission, Joachim Lenz, sieht zur Beilegung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern die Staatengemeinschaft in der Pflicht, sagte er im Gespräch mit Stephan Cezanne.

Wie erleben Sie die Auseinandersetzungen zurzeit persönlich?
Joachim Lenz:
In die Altstadt von Jerusalem kam das Leben nach strengen Lockdowns gerade zurück. Heute ist kaum jemand auf den Straßen unterwegs, obwohl die meisten Geschäfte geöffnet sind. Am Sonntag dürfen wir endlich wieder mit bis zu 50 Menschen in der Kirche zusammenkommen – nur traut sich kaum jemand hierher.
Die großen Auseinandersetzungen am Damaskustor und auf dem Tempelberg sind gleich nebenan, nachts höre ich die Detonationen der Polizeigranaten. Es ist eine bedrückende Atmosphäre, auch wenn Erlöserkirche und Propstei als sichere Orte erscheinen, und wenn es tagsüber friedlich scheint – jedenfalls hier, weit weg vom Gazastreifen oder Tel Aviv.

Ist das der Beginn einer Intifada?
Ein lange geplanter Handwerkertermin wurde uns heute abgesagt, weil der Elektriker als Reservist eingezogen wurde. Die israelischen Streitkräfte sind in höchster Alarmbereitschaft, vergangene Woche habe ich erstmals in meinem Leben Luftschutzsirenen gehört, als Raketen auf Jerusalem flogen. Auf eine schnelle Beruhigung deutet leider gerade kaum etwas. Die Menschen hier machen sich große Sorgen.

Welche Seite hat „Schuld“ an der aktuellen Eskalation?
Gründe für aktuelle Demonstrationen und Streitigkeiten liegen oft Jahrzehnte zurück. Die Situation in den besetzten oder annektierten Gebieten ist für viele Menschen schwer erträglich, es sind keine Besserungen oder gar Lösungen in Sicht. Ich bin nicht Richter darüber, wer auf israelischer oder palästinensischer Seite welche Verantwortung oder Schuld hat. Ich sehe, dass beide Seiten auf ihre Weise wie immer agieren. Einseitige Schuldzuweisungen, gern gegenseitig vorgetragen, sind Teil des Problems.

Welche Wege halten Sie zur Befriedung der Situation für möglich?
Beide Seiten müssen endlich wieder miteinander reden! Das klingt einfach, geschieht seit Jahren aber faktisch nicht mehr. Vielleicht endet die offene Gewalt ja in ein paar Tagen; es wird dann aber irgendwann wieder hochkommen. Also: reden, neue Ideen denken, Vertrauen schaffen und riskieren, die nachfolgenden Generationen im Blick zu haben.

Was kann die Staatengemeinschaft tun?
Da weiß ich auch nicht weiter! Die Verantwortlichen in Palästina fühlen sich derzeit von vielen Staaten im Stich gelassen: beispielsweise gab es im Rahmen der Covid-Bekämpfung für Gaza oder die Westbank wenig Unterstützung durch Impfstofflieferungen oder Wirtschaftshilfen. Die Israelis fühlen sich zu Unrecht an den Pranger gestellt, wenn sie international zur militärischen Mäßigung aufgerufen werden, während über tausend Raketen in ihr Land geschossen werden.
Ich denke, dass sich beide Seiten als weitgehend isoliert sehen. Ohne Mitwirkung von außen wird sich zwischen den verfeindeten Seiten wohl nichts bewegen. Politische Ideen, Hilfen, Garantien, Visionen müssen her – ich bin Pastor, und ich bete, dass Gott weite Herzen und klare Gedanken schenkt, international und besonders hier im Heiligen Land.

(epd)

Autor:

Online-Redaktion

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