Verständigungsorte
Gespräche mit und ohne Stoppuhr

- Sie eröffneten den Gesprächsabend mit Berichten persönlicher Erfahrungen aus der Coronazeit: (v. l.) Rüdiger Schuch, Präsident der Diakonie Deutschland, Moderatorin Laura Krannich, Landesbischof Friedrich Kramer, Unternehmerin Margret Schmidt, Kinder- und Jugendberaterin Nina Gloser und Alice Neumeister, in der Coronazeit stellvertretende Pflegedienstleiterin bei der Diakonie.
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Für die einen ist die Pandemiezeit längst Vergangenheit, für die anderen sind nach Corona Fragen und Verletzungen geblieben. Für sie gab es jetzt in Saalfeld ein Gesprächsangebot, und mancher fühlte sich – auch dank eines besonderen Austauschformats – zum ersten Mal gehört.
Von Sabine Bujack
Pfarrerin Laura Krannich, die den Abend kurz vor dem Tag der Deutschen Einheit im Jugend- und Stadtteilzentrum Saalfeld-Gorndorf (Kirchenkreis Rudolstadt-Saalfeld) moderierte, kündigte ein „kommunikatives Experiment“ an. Ganz im Sinne der einladenden Initiative "#VerständigungsOrte", vor einem knappen Jahr von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie Deutschland ins Leben gerufen, wolle man über Meinungsverschiedenheiten und Filterblasen hinweg ins Gespräch kommen und Erfahrungen teilen, ohne unterschiedliche Ansichten zu nivellieren.
Das stieß auf Interesse, wie der gut gefüllte Verständigungsort zeigte. Stadträte von der AfD und den Grünen waren gekommen, kirchliche Mitarbeiter, Freiberufler, Jüngere, Ältere, „Gutmenschen“ und „Montagsdemonstranten“ – manche von ihnen mit Anreisewegen von bis zu einer Stunde. Sie trafen sich an über einem Dutzend Stehtischen zu viert oder fünft unter der Prämisse, dass jeder seine zwei Minuten Redezeit ganz persönlich füllen konnte, ohne unterbrochen zu werden. Ertönte die Stoppuhr, lief die Redezeit des nächsten Gastes. So ging es drei Runden.
„Uns hört keiner zu“, würde oft kritisiert, hatte zuvor EKM-Landesbischof Friedrich Kramer gesagt. Was aber dahinterstehe, benannte er so: „Wenn du meine Meinung nicht übernimmst, hörst du mir nicht zu.“ Er räumte auch Fehler während der Coronazeit ein, etwa Nichtgeimpfte durch den Slogan „Impfen ist Nächstenliebe“ auszuschließen.
„Wir waren vielleicht zu vorsichtig, obwohl Seelsorge und Nähe extrem wichtig gewesen wären“, pflichtete Diakoniepräsident Rüdiger Schuch bei.
"Die Menschen sind an Einsamkeit gestorben."
Einsame Zeiten sprach Nina Gloser, Kinder- und Jugendberaterin der Diakonie, an. Klassenfahrten, Schulfeiern und Übergangsrituale mussten entfallen, sodass ihr Kinder von „Jahren, die verschwimmen“ und einem „dunklen Ort im Kopf“ berichtet hätten. „Es war aber auch eine sehr intensive Zeit mit meinem Kind“, erinnerte sich Margret Schmidt. Allerdings habe sie, die zwei Tattoo-Studios in Saalfeld und Jena betreibt, zehn Monate nicht arbeiten dürfen.
So musste die Alleinerziehende von Ersparnissen, auch denen ihrer Mutter und ihres Sohnes, leben. Alice Neumeister vom ambulanten Hospizdienst der Diakonie erlebte einen „Kontrollverlust“, aber auch Kreativität: „Wir haben Balkontüren geöffnet und Tablets angeschafft.“ Als sie sagte: „Die Menschen sind an Einsamkeit gestorben“, gab es Beifall.
Dankbar für Offenheit und Respekt, gleichwohl nachdenklich über „jede eigene Geschichte und eigene Wahrheit“ (Schmidt) kamen die fünf Impulsgeber von den Tischgesprächen zurück. Da wurde die Sorge über gleichgeschaltete Berichterstattung angesprochen und die Vorsicht, was man wem sage. Da wurden zerstörte unternehmerische Existenzen beklagt und über neue Geschäftsideen berichtet. Da wurden der Sinn von Impfungen in Abrede gestellt und medizinische Entscheidungen verteidigt. Da wurden die Unabhängigkeit vom asiatischen Arzneimittelmarkt verlangt und im Blick auf kommende Pandemien „Regelungen, die die Gesellschaft untereinander vereinbart“ (Schuch) gefordert.
Weiter „im Austausch zu bleiben, ohne bewertet zu werden“, nicht nur über Corona, wünschte sich Margret Schmidt. Dass sich viele Gäste in dieser Weise gehört und verstanden fühlten, zeigten angeregte Gespräche nach dem offiziellen Ende – bei einem Imbiss der Werkstätten Altengesees der Diakoniestiftung Weimar Bad Lobenstein und ganz ohne Stoppuhr.
Autor:Online-Redaktion |
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