Interview
"Brauchen Abschied von der DDR-Kirche"

Tobias Bilz, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und Mitglied im Rat der EKD | Foto: epd-bild/Heike Lyding
  • Tobias Bilz, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und Mitglied im Rat der EKD
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Die Kirche muss ihre Kommunikation umstellen und viel stärker deutlich machen: "Es geht uns nicht um uns", sagt der sächsische Landesbischof Tobias Bilz. Kirche finde mit ihren Positionen durchaus Gehör in der säkularen Gesellschaft - wenn sie mehr als "dreimal abgewogene Floskeln" liefere. Mit Karin Wollschläger sprach Bilz  auch darüber, warum es beim Thema AfD eine klare Position der Kirchen brauche.

Herr Bischof Bilz, wie steht es um die Sprachfähigkeit der Kirche?
Tobias Bilz:
Das hängt natürlich vom Thema ab. Wenn wir auf die Glaubenskommunikation schauen, muss man schon sagen: Die Kirchen, die evangelische vielleicht noch mehr als die katholische, sind immer davon ausgegangen, teils bis heute, dass sie meinen, eine Botschaft zu haben, die sie an den Mann, an die Frau bringen müssen. Dieses 'Ich vermittele dir jetzt mal was' kommt aber bei den Menschen von heute nicht mehr gut an. Wir müssen da ganz klar mehr auf Dialog setzen. Gerade auch bei Nicht-Christen stößt so eine appellative Ansprache von Kirche eher auf Ablehnung. Ich glaube aber auch, dass Kirche viel stärker diesen Menschen zuhören muss, damit wäre schon viel gewonnen.

Was kann die Kirche den Menschen, auch wenn sie nicht an Gott glauben, in diesen nicht gerade ruhigen Zeiten geben?
Trost und Ermutigung. Sie mit den negativen Erfahrungen nicht allein lassen. Trost funktioniert allerdings nicht mit zu viel reden, sondern eher im miteinander Aushalten. Ich denke, es ist eine große Herausforderung unserer Zeit, zu sagen: Was wäre denn, wenn wir in der Krise wieder lernen, auf einen Gott zu vertrauen, der da ist? In den vergangenen, relativ sicheren Jahrzehnten wurde die Nähe Gottes wenig thematisiert.

Kirche als Krisenprofiteur?
Wenn es Kirche nur um sich selbst ginge, könnte man so denken. Aber das ist der falsche Ansatz. Es geht um die Menschen, was wir für sie in der Krise tun können. Davon abgesehen steckt die Kirche ja selbst gerade in der Krise. Ein Zustand, der uns dazu verführen könnte, uns nur mit uns selbst zu beschäftigen. Und jeder, der alle fünf Sinne beisammen hat, blickt doch sofort, worauf es abzielt, wenn eine Institution, die massiven Mitgliederschwund hat, plötzlich massiv für sich Werbung macht. Nein, wir müssen da unsere Kommunikation umstellen und sehr deutlich machen: Es geht uns nicht um uns! Sondern wir wollen für die Menschen da sein.

Die jüngste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung zeigte, dass immer mehr Menschen zentrale Glaubensinhalte nicht mehr teilen. Kann die Kirche selbst den eigenen Leute das Eingemachte nicht mehr vermitteln?
Die aktuellen politischen Entwicklungen und Fragen verführen uns vielleicht manchmal dazu, vorrangig darauf Antworten geben zu wollen. Da rücken die Glaubens- und Bekenntnisinhalte mitunter etwas in den Hintergrund. Insofern sind wir als Kirche heute ein Stück weit Opfer dessen, wie Menschen ihr Leben deuten wollen.

Wie meinen Sie das?
Die Menschen interessieren sich vorrangig für das, was sie gerade beschäftigt und was ihnen nützlich sein kann. Religiöse Bekenntnisse gehören nicht unbedingt dazu.

Hat denn der Glaube tatsächlich nichts Nützliches an sich?
Nein, nein. Jesus selbst hat ja schon gesagt, wenn der Glaube den Menschen nützlich ist, dann entwickelt er seine eigene Relevanz.

Tut sich die Kirche also schwer, heute diese Nützlichkeit zu vermitteln?
Wir denken wahrscheinlich eher, dass die Nützlichkeit sich von selbst erweisen muss. Das zu thematisieren, das macht man irgendwie nicht. Vielleicht ist das ein Problem oder Dilemma. Aber es klingt auch komisch, so ein Werbeblock: Wenn du Christ bist, hast du Folgendes davon...

Ostdeutsche Christen mussten sich zu DDR-Zeiten ständig für ihren Glauben rechtfertigen. Ist das nicht vielleicht auch heutzutage ein Vorteil, weil sie einfach geschulter sind, über ihren Glauben zu sprechen?
Ich bin mir nicht so sicher. Der gesellschaftliche Kontext, in dem wir unsere Sprachfähigkeit erlernt haben, ist ja nicht mehr da. Das war zu DDR-Zeiten immer eine Bekenntnis-Situation: Wo gehört du hin - gehörst du zur Kirche? Je nach Antwort zog das erhebliche Nachteile nach sich. Und es war immer eine Drucksituation, eine Konfrontation, in der wir vom Glauben gesprochen haben. Insofern denke ich, dass wir heute eher etwas von Christen in Westdeutschland lernen könnten.

Inwiefern?
Ich denke, dass im Westen die Diskursfähigkeit bei Fragen des Glaubens ausgeprägter ist. Die Christen dort konnten in einer freien Gesellschaft, in der Religion oft ein selbstverständlicher Teil war, viel unbefangener über den Glauben sprechen und diskutieren. Bei uns stand immer direkt der Bekenntnischarakter im Vordergrund. Diese Prägung macht es uns heute mitunter auch schwerer.

Haben Sie ein Beispiel?
In der sozialistischen Gesellschaft war Kirche ein Gegenort. Wir haben quasi Rückzugsburgen gebildet, wo wir uns verteidigt haben. Das Gefühl war: Das Land ist besetzt, und wir müssen unsere Stellung irgendwie halten. Das hörte nach der Wende nicht auf. Da sank die Zahl der Christen ja weiter, und unser Minderheitencharakter verfestigte sich.
Nun ist das Land frei, aber wir schauen immer noch aus unseren Kirchenburgen. Das heißt, wir brauchen neue Fertigkeiten, um Gesellschaft zu gestalten und in die gesellschaftliche Breite zu wirken. Manchmal - vergröbert gesprochen - ist es bei uns so, dass wir eher die Leute einladen, bei uns auf der Burg zu leben, statt hinauszugehen. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: So wie die westliche Kirche einen Abschied von den fetten Jahren braucht, brauchen wir einen Abschied von der DDR-Kirche.

Inwieweit sollte Kirche sich gesellschaftspolitisch zu Wort melden?
Wir sind als Kirche nicht zuständig für die politische Gestaltung der Welt. Aber wir melden uns zu Wort und tragen das zur Gesellschaft bei, was unserem Glauben gemäß in die Gesellschaft hinein zu sagen ist. Wenn es etwa um Menschenliebe, Nächstenliebe oder Zusammenhalt geht, sagen wir natürlich, was die christlichen Werte sind.

Und haben Sie den Eindruck, dass es gesellschaftlich auch Gewicht hat?
Ja. Ich staune darüber, wir medienwirksam wir auch hier in der Diaspora wahrgenommen werden, wenn wir Klartext sprechen. Das gemeinsame Wort der katholischen Bischöfe in Ostdeutschland zur AfD - was das für einen Hall macht! Sie haben es gewagt, etwas zu dieser Partei zu sagen und zu einer Frage, die die Menschen beschäftigt, klar Stellung bezogen.
Insofern würde ich sagen: Der Widerhall, den wir in der Gesellschaft mit unseren Wortmeldungen erzielen, hängt entscheidend von der Konkretisierung und Klarheit ab. Dreimal abgewogene Keine-Ahnung-Sätze und Floskeln sind immer langweilig. Ich sage zum Beispiel auf Rechtspopulisten hin: "Auf die Dauer kommt immer raus, was drin steckt." Das zeigt Wirkung. Da fangen die Leute an, drüber nachzudenken.

Ist die AfD Ihrer Ansicht nach für Christen wählbar?
Nein, ist sie nicht. Und ich denke, wir müssen als Kirche da auch neue Formate finden, darüber mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Aber wir müssen uns hier als Kirche auch ganz klar und unzweifelhaft positionieren. Hier braucht es Bekenntnis.

Autor:

Katja Schmidtke

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