Sommerinterview
Beten an der Ampel

In Luthers Kloster: Friederike F. Spenglers Schreibtisch steht im modernen Anbau des Erfurter Augustinerklosters, im "Haus der Versöhnung". Oft ist sie allerdings im Südsprengel der EKM unterwegs. Den Versöhnungsgedanken nimmt sie vom Arbeitsort mit.  | Foto: Paul-Philipp Braun
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  • In Luthers Kloster: Friederike F. Spenglers Schreibtisch steht im modernen Anbau des Erfurter Augustinerklosters, im "Haus der Versöhnung". Oft ist sie allerdings im Südsprengel der EKM unterwegs. Den Versöhnungsgedanken nimmt sie vom Arbeitsort mit.
  • Foto: Paul-Philipp Braun
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Vor 75 Jahren haben sich die lutherischen Landeskirchen zusammengeschlossen. Regionalbischöfin Friederike F. Spengler vertritt die EKM in dem Kirchenbund der VELKD. Im Gespräch mit Willi Wild gibt sie nicht nur über dieses Ehrenamt Auskunft.

Wofür steht das „F.“?
Friederike F. Spengler:(lacht) Für Franziska. Ich habe die Vornamen meiner Großmütter erhalten. Eigentlich hatten mich meine Eltern Franziska Friederike taufen lassen, aber mein Rufname – der früher unterstrichen wurde – ist Friederike, übersetzt „die Friedensbringerin“. Später musste ich für den neuen Ausweis die Reihenfolge ändern. Von „Franziska“ ist so der Anfangsbuchstabe geblieben.

Sie sind in Leipzig aufgewachsen. Welche Rolle spielte für Sie die Kirche?
Kirche war und ist mein Leben. Ich bin sozusagen „kirchlich durchsozialisiert“: Kurrende, Christenlehre, Ins-trumentalkreis, Konfirmandengruppe, Bandarbeit, Junge Gemeinde, Chor etc. Als Jugendliche war ich jeden Tag in einer anderen kirchlichen Gruppe aktiv. Durch die Eltern, die ganz stark ehrenamtlich in der Kirchengemeinde engagiert waren, bin ich hineingewachsen.

War für Sie von Anfang an der Weg ins Pfarramt vorgezeichnet?
Nein. Ich wollte Medizin studieren und Kinderärztin werden. Aber mir wurde der Zugang zur erweiterten Oberschule ebenso aus politischen Gründen verwehrt wie der zu anderen Möglichkeiten, das Abitur abzulegen.

Woran lag das?
Ich habe mich früh in kirchlichen Umwelt- und Friedensgruppen engagiert und aus meiner pazifistischen Haltung auch in der Schule keinen Hehl gemacht. Im Schulsport ging es bereits um Grundformen militärischer Ordnung. Die sogenannte Wehrerziehung hatte in der DDR einen hohen Stellenwert und begann sehr früh. Diese habe ich ebenso abgelehnt wie die Jugendweihe. Ich war die einzige in meiner Klassenstufe, was die Sache erschwerte.

Mir war dann jegliche akademische Laufbahn unmöglich. Noch nicht mal den Zugang zur Fachschule öffnete man mir, das war hart. Ich solle doch in einer Fabrik einen Beruf erlernen, hieß es. Ja, Kirche und Diakonie waren meine Rettung. In kirchlichen Einrichtungen konnte ich Kinderdiakonin, Heilerziehung und Psychiatrie-Pflege lernen und mich medizinisch weiterbilden.

Wie kam es dann doch noch zum Theologiestudium?
In der kirchlichen Ausbildung wuchs mein Interesse an der Theologie. Ich wollte aber nicht an einem kirchlichen Seminar studieren, sondern an einer Universität. Mir war wichtig, mich mit unterschiedlichen Denkrichtungen auseinanderzusetzen. Diese Möglichkeit fand ich durch die sogenannte Sonderreifeprüfung, und ich nahm im September 1989 in Jena mein Studium auf.

Professor Klaus-Peter Hertzsch bat mich inständig, meine Unterschrift unter der Teilnahmeerklärung am Wehrkundeunterricht zu leisten, damit ich mit dem Studium beginnen könne. Andernfalls könne er nichts für mich tun und ich müsse mit der Exmatrikulation rechnen. Wir haben lange miteinander gesprochen. Ich verließ sein Büro, ohne zu unterschreiben.

Was ging da in Ihnen vor?
Ich wusste nicht, was passiert, musste mit dem Schlimmsten rechnen. Aber es war mir unmöglich, gegen meine Überzeugung zu handeln. Und dann, Gott sei Dank – im wahrsten Sinne des Wortes –, änderte sich nur zwei Monate später alles. In der Wendezeit konnte ich sogar an der Auflösung des vormilitärischen Unterrichts mitwirken.

Sie sind eine Friedenskämpferin, höre ich da heraus. Woher haben Sie dieses Selbstbewusstsein, die Durchsetzungskraft und den Mut?
Von meinem Elternhaus. Wir haben am Abendbrottisch leidenschaftlich diskutiert, und ich konnte dort meine Position einnehmen lernen. Meine Eltern haben sehr viel Wert auf Offenheit und Freiheit im Denken gelegt. Das hat mich geprägt. Anpassen und Durchlavieren war nie meins. Ich habe außerdem gelernt, zuzuhören und andere Meinungen stehen zu lassen. Es ist ein großer Schatz unserer Kirche, dass wir eine Vielfalt an Menschen und Meinungen haben und trotz Differenzen alle Teil des einen Leibes Christi sind.


"Für mich geht es nicht darum, ob die VELKD eine Zukunft hat, sondern wie sie ihrem Auftrag in Zukunft gerecht wird"

Als Regionalbischöfin müssen Sie zwischen unterschiedlichen Auffassungen vermitteln. Der Wahlausgang in Sonneberg beschäftigt auch den Kirchenkreis. Wie gehen Sie damit um?
Oh, das Thema treibt mich gerade um! Ich biete Gemeindegliedern Gespräche an, auch denen, die diese Partei gewählt haben. Aber natürlich mache ich keinen Hehl daraus, dass sich meines Erachtens die biblische Botschaft und bestimmte politische Inhalte ausschließen! Es ist wichtig, dass wir als EKM klar Position beziehen, aber ebenso Sorgen und Ängste der Menschen ernst nehmen und zuhören. Darin will ich gern auch Kirchenkreise vor Ort unterstützen.

Vermutlich werden Sie bei öffentlichen Anlässen auch auf den AfD-Landrat treffen. Wie wollen Sie ihm begegnen?
Das ist ein schwieriges Thema, das jetzt gerade besonders die Brüder und Schwestern im Landkreis Sonneberg trifft. Wir denken in der Kirchenleitung über eine gemeinsame Linie nach. Ich weiß heute noch nicht, wie ich damit umgehen werde.

Sind Sie Teil einer geistlichen Gemeinschaft, die Sie auch in solchen Fragen begleitet?
Zunächst ist das der Bischofskonvent. Wir treffen uns regelmäßig und beginnen jede unserer Beratungen mit einer Bibelarbeit und intensivem geistlichen Austausch. Auch wenn wir oft eine lange Tagesordnung haben, ist es uns sehr wichtig, dass wir diese geistliche Zeit nicht einkürzen.

Na und dann bin ich natürlich Teil der großen Gemeinschaft der Getauften! Ich lege Wert darauf, dass das schon in der Anrede deutlich wird: Brüder und Schwestern im Herrn.

Ich kann mir vorstellen, dass Sie wenig Zeit für geistliche Einkehr haben. Gibt es Zeiten, die Sie dafür reservieren?
Ja. Ich beginne jeden Tag mit einem Psalm. Wenn ich bei Psalm 150 bin, geht es wieder von vorne los. Außerdem bin ich viel im Auto unterwegs und nutze jede rote Ampel für ein Gebetsanliegen. Da kommt ganz schön was zusammen …

Sie sind Teil der ehrenamtlichen Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), die vor 75 Jahren in Eisenach gegründet wurde. Ist die VELKD auch eine geistliche Gemeinschaft?
Die VELKD ist nicht direkt eine geistliche Gemeinschaft, sondern ein Zusammenschluss von sieben lutherischen Landeskirchen mit dem Ziel, deren Einheit in der lutherischen Lehre und den Bekenntnissen zu fördern und zu stärken.

Was heißt das konkret?
Schwerpunkt ist die theologische Arbeit aus evangelisch-lutherischer Perspektive. Dazu gehören die Bekenntnisse und die reformatorischen Schriften.

Welche Bekenntnisse meinen Sie?
Alle Gliedkirchen der VELKD verbinden die altkirchlichen Bekenntnisse, Luthers Kleiner Katechismus und das Augsburger Bekenntnis (also die CA).

Was ist Ihre Aufgabe in der VELKD?
Mir ist die theologische Auseinandersetzung ein wichtiges Anliegen. Bei meiner ersten Teilnahme an der Generalsynode habe ich beispielsweise den Antrag gestellt, die in Artikel 16 des Augsburger Bekenntnisses aufgeführte geistliche Rechtfertigung eines „gerechten Krieges“ und die Verdammung derer, die damit nicht einverstanden sind, zu diskutieren und mit einer Erklärung zu versehen. Das ist mir nicht gelungen, aber ich bleibe dran.

Ich vertrete die mitteldeutsche Landeskirche in der Kirchenleitung, indem ich Anliegen vorbringe, die mir von hier aufgetragen werden. Umgekehrt versuche ich, die Entscheidungen und Diskussionsprozesse aus der VELKD in unsere Landeskirche einzubringen.

Was haben die Gemeinden von der Arbeit der VELKD?
Ganz praktische Dinge, die auf den ersten Blick nicht gleich mit der VELKD in Verbindung gebracht werden: Texte und Materialien für die Arbeit der Kirchengemeinden zum Beispiel. Agenden, die Perikopenordnung oder das Gottesdienstbuch sowie das Gesangbuch entstehen mit der Expertise der VELKD. Wir unterhalten auch eine Forschungsstelle für Liturgie und Gottesdienst.

Jede Woche erscheint eine Lesepredigt, die Grundlage vieler Gottesdienste von unseren Lektoren ist. Und die Homepage „kirchenjahr-evangelisch.de“ ist hochfrequentiert. Und über den gemeindlichen Horizont hinaus spielt die weltweite Ökumene eine große Rolle.

Sind das nicht alles Aufgaben, die auch von der EKD übernommen werden?
Die Frage ist berechtigt und scheint aus organisatorischer Sicht sinnvoll. Aber es geht um Vielfalt, um die Schätze des Evangelisch-Seins; bei uns speziell um die lutherische Stimme und deren Relevanz, um das Verständnis der Bekenntnistexte und deren Kommunikation heute. Dafür ist die VELKD meiner Ansicht nach unabdingbar. Für mich geht es nicht darum, ob die VELKD eine Zukunft hat, sondern wie sie ihrem Auftrag in Zukunft gerecht wird.

Die VELKD wurde am 8. Juli 1948 in Eisenach gegründet. Ein Ort mit einer wechselvollen lutherischen Geschichte. Welche Bedeutung messen Sie der Wartburgstadt in diesem Zusammenhang bei?
Der Gründungsort erinnert die VELKD stets an ein doppeltes Erbe: Nicht nur befreiende Theologie und profiliertes Bekenntnis, sondern auch die immerwährende Verpflichtung zur Auseinandersetzung mit den Irrwegen. „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen“, heißt auf die VELKD bezogen: „Nur wer sich mit den hasserfüllten, todbringenden Schriften Luthers gegen Juden, Täufer, Bauern auseinandersetzt, darf sich an den wunderbaren Erkenntnissen aus seiner Feder freuen und orientieren."

Wir leben in der Zuversicht, dass wir auch als Kirche an unserer Schuld nicht zugrunde gehen. Deshalb können wir angstfrei in die Abgründe von Vergangenheit und Gegenwart schauen und übernehmen so Verantwortung.

Hintergrund
Vor 75 Jahren, am 8. Juli 1948, wurde die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD) in Eisenach gegründet. Die sieben Landeskirchen der VELKD mit über acht Millionen Mitgliedern pflegen innerhalb der EKD mit besonderer Sorgfalt die lutherischen Kerngedanken der Reformation. Die zeitgemäße Interpretation und Vermittlung von christlichen Bekenntnissen, die ansprechende Gestaltung von Gottesdiensten und das ökumenische Gespräch sind die zentralen Anliegen. Die Landeskirchen – Hannover, Bayern, Norddeutschland, Braunschweig, Sachsen, Mitteldeutschland und Schaumburg-Lippe – binden sich an die Katechismen Martin Luthers und die Augsburger Konfession von 1530. 

Autor:

Online-Redaktion

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