Ökumenische Akademie Gera
Streitgespräch Palästina: Kein Satz ist sicher

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Die Ökumenische Akademie Gera stellt in diesem Jahr das Thema Krieg und Frieden in den Mittelpunkt ihres Programms. An sieben Abenden soll kontrovers diskutiert über Pazifismus, Gewalt als Lösung von Konflikten und Kirche als Friedensmittlerin. Das Podiumsgespräch „Der Streit um Palästina“ bildet den Auftakt für die Reihe der Streitgespräche. Mit den Veranstaltungen wolle er Polarisierung mit Information und kultiviertem Meinungsaustausch begegnen, sagt Akademieleiter Frank Hiddemann. Beatrix Heinrichs hat mit ihm gesprochen.
Der Thüringen Monitor hat festgestellt, dass es einen deutlichen Anstieg von Antisemitismus gibt – oftmals getarnt als Israel-Kritik. Wie nehmen Sie das in den Kirchengemeinden wahr?
Frank Hiddemann: Ich habe den Eindruck, in den Gemeinden redet man überhaupt nicht über Palästina oder über den Nahost-Konflikt. Das Thema wird eher vermieden. Und nicht nur da, sondern auch in anderen Gruppen.
Woran liegt das?
Der Konflikt im Nahen Osten ist ein Thema, das entweder fanatisiert oder nicht angegriffen wird. Tut man es doch, führt es zu Streit. Dieser Konflikt ist kompliziert. Man kann keine sicheren Sätze sagen, ohne Gefahr zu laufen, dass es ganz schnell antisemitisch verstanden werden kann.
Haben Sie ein Beispiel?
Wenn man zum Beispiel von "den Juden" spricht, statt von Israel, ist das ein klassischer Fehler. Das ist der Abgrund zum Antisemitismus. Dagegen kann man sich auf die innerisraelische Opposition beziehen, wenn man sich kritisch äußern will. Auf die jüngste Kritik von Bundeskanzler Friedrich Merz am Vorgehen Israels hat der israelische Botschafter krass reagiert. Er meinte, Merz sei ja ein Freund Israels. Und wenn ein solcher sich kritisch äußere, dann müsse man darüber nachdenken.
Der Streit um Palästina
Im Rahmen der Jahresreihe werden am 9. Juni, 19 Uhr, in der Kirche Sankt Peter und Paul in Kraftsdorf spannende Gäste erwartet.
Als Experte ist Wolfgang Kraushaar, Politikwissenschaftler und Autor des Buchs "Israel: Hamas – Gaza – Palästina. Über einen scheinbar unlösbaren Konflikt" Gast auf dem Podium. Als radikaler Kritiker der Militärstrategie Israels hat der Politikwissenschaftler und Publizist Hamed Abdel-Samad zugesagt. Ihm steht als Verteidiger Israels Philipp Peymann Engel, Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen, im Streitgespräch gegenüber. Zu Gast ist ebenso der Nahostbeauftragte der EKM Pfarrer Christian Kurzke.
Die nächsten Themenabende folgen am 21. August im Pfarrhof Nöbdenitz und am 11. September in der Kirche St. Elisabeth in Gera.
Warum sollten sich Christen mit Israel beschäftigen?
Ganz einfach: Es ist das Heilige Land. Jesus lebte dort. Er war Jude. Im Grunde ging es ihm um eine Aktualisierung des Gottesverhältnisses. Er wollte das Judentum reformieren, hat aber "aus Versehen" eine neue Kirche gegründet. Wir haben einen Gott. Wir sind also mit der jüdischen Religion verbunden. Deswegen sind wir involviert in die Fragen, die Israel, Palästina und diesen Konflikt betreffen. Und das macht es schwierig, weil wir wissen: Das hat mit der Mitte unseres Glaubens zu tun.

- Frank Hiddemann
- Foto: Wolfgang Hesse
- hochgeladen von Online-Redaktion
Was braucht es, um für die Situation in Israel zu sensibilisieren?
Es gibt keinen großen Hebel, man muss im Kleinen arbeiten. Es funktioniert nur auf der persönlichen Ebene, über Erzählungen oder Begegnungen in den Kirchengemeinden - also eher über die Beziehungen als über Debatten. Die bleiben aber wichtig.
Warum?
Zum Streitgespräch am 9. Juni erwarten wir Hamed Abdel-Samad, radikaler Kritiker der Militärstrategie Israels, und Philipp Peymann Engel, Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen und Verteidiger Israels. Beide haben völlig konträre Positionen, sind privat aber befreundet. Sie können heftig und kontrovers diskutieren. Ihre Verbundenheit aber führt dazu, dass sie sich nicht auseinander bringen lassen. Ich finde, das ist es etwas, was in unserer Gesellschaft viel zu wenig passiert.
Hat sich die Streitkultur verändert?
Früher hat man immer getrennt zwischen einer Meinung und einer Person. Jetzt gilt: Wenn du meine Meinung kritisierst, ritzt du in mein Herz. Da ist sofort eine Verletzung. Deswegen setze ich mich immer so mit Leidenschaft für Gespräche und öffentliche Debatten ein, bei denen man völlig konträr in der Sache ist, aber respektvoll und kultiviert im Ton. Ich denke, das ist die einzige Möglichkeit, die Blasenbildung zurückzudrängen.
In welcher Blase haben Sie sich zuletzt bewegt?
Ich habe die Vikare in der EKM vor einiger Zeit zum Thema AfD fortgebildet. Es gab auch Vikare aus Berlin, die haben gesagt: In den Wahlergebnissen sehen wir zwar, dass es diese Rechtspopulisten geben muss. Aber wir haben noch nie persönlich welche getroffen. Und dann gab es Vikare aus Thüringen und Sachsen-Anhalt, die im ländlichen Raum tätig waren, und ganz andere Erfahrungen gemacht haben. Das sind zwei völlig verschiedene Blasen. Ich glaube, man geht ein Depressionsrisiko ein, wenn man in seiner Blase bleibt. Man braucht Impulse, etwas worauf man reagieren kann, um lebendig zu bleiben. Wenn man auf nichts mehr reagieren muss, dann wird es schnell dunkel.


Autor:Beatrix Heinrichs |
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