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Standesamt gegen Traualtar - Der Kampf um die Ehe

Brautpaar im Standesamt am 03.09.2010 | Foto: epd-bild / Gerold Meppelink
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Seit 150 Jahren schreibt der Staat vor, dass nur eine auf dem Standesamt geschlossene Ehe rechtliche Wirkung hat. Mittlerweile heiraten nur noch 16 Prozent aller Paare auch kirchlich.

Von Christoph Arens (KNA)

Kirchlich heiraten? Immer mehr Bundesbürger beantworten diese Frage mit Nein. 2021 traten gerade noch 16 Prozent aller Paare nach dem Gang zum Standesamt auch noch vor den Traualtar. Dass kirchliche und staatliche Hochzeit zwei Paar Schuhe sind, gilt in Deutschland seit 150 Jahren. Am 23. Januar 1874 verabschiedete der Preußische Landtag das Gesetz über die verpflchtende Zivilehe. Ein Jahr später wurde diese Regelung - unter heftigem kirchlichen Widerstand - im gesamten Deutschen Reich eingeführt. Kirchliche Trauungen durften dem bürgerlichen Eheschluss seitdem nur nachfolgen, andernfalls drohte auch dem Geistlichen Strafe.

Der Staat übernahm die Regie beim Bund für das Leben . Zuvor hatte gegolten, was das Trienter Konzil im 16. Jahrhundert festgelegt hatte: Bekundeten katholische Brautleute vor ihrem Ortspfarrer und zwei Zeugen ihren Willen zur Ehe, war der Bund für das Leben geschlossen. Doch damit war bei Bismarck Schluss. Wilhelm Busch brachte das 1875 dichterisch auf den Punkt: "Bald, so wird es laut verkündet: Knopp hat eh'lich sich verbündet", reimte er. "Erst nur flüchtig und zivil, dann mit Andacht und Gefühl."

Das Gesetz, durch das der Staat bei der Eheschließung die Regie übernahm, war eine Folge des Kulturkampfs , mit dem Reichskanzler Otto von Bismarck zwischen 1871 und 1878 versuchte, die katholische Kirche und die ihr nahestehende Zentrumspartei zurückzudrängen. Der Neuregelung waren hitzige Debatten vorausgegangen: Schließlich hatten auch das preußische Königshaus und viele konservative Politiker ihre Sorge bekundet, dass die Zivilehe einen "entschieden nachtheiligen Einfluss auf die Religiosität und Sittlichkeit"  der Deutschen habe.

Auch Bismarck wollte nicht auf die kirchliche Trauung verzichten. Es sei vielmehr dringend wünschenswert, so die Begründung des Gesetzes, dass "jeder, der in die rechtliche Gemeinschaft der Ehe eintritt, diese Gemeinschaft auch mit dem sittlichen Geiste und der ernsten Weihe erfülle" . Für viele gemischtkonfessionelle und nicht-religiöse Paare bedeutete die Machtbeschneidung der Kirchen, dass auch sie nun den Bund der Ehe eingehen konnten. Erstmals wurde zudem Ehescheidung möglich. Und die Kirchenbücher – in Personenstandsfragen bis dahin das Maß aller Dinge - verloren an rechtlicher Bedeutung.

Die Abwendung vom christlichen Eheverständnis hatte schon während der Französischen Revolution 1792 begonnen. Durch das von Napoleon 1804 eingeführte neue Zivilrecht gelangten die verpflichtende Zivilehe und die Möglichkeit der Scheidung dann auch in die deutschen Länder, die unter französischer Herrschaft standen. Napoleons Niederlage bedeutete dann nicht, dass die Entwicklung zurückgedreht wurde. Versuche, die Zivilehe beispielsweise in der preußischen Rheinprovinz wieder abzuschaffen, blieben erfolglos. Im zersplitterten Deutschland entstand ein Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen: Die verpflichtende staatliche Ehe wurde in Kurhessen etwa 1848 und 1850 in Frankfurt eingeführt. Oldenburg und Hamburg ließen die Wahl zwischen kirchlicher und staatlicher Eheschließung. Bis 1875.

Der Vorrang der staatlichen Ehe wird heutzutage nicht mehr hinterfragt. Paradoxerweise schaffte der Bundestag 2009 das Verbot der religiösen Voraustrauung von 1876 ab. Die kirchliche Trauung hat seitdem keinerlei zivilrechtliche Bedeutung mehr und ist daher keinen staatlichen Beschränkungen mehr unterworfen. Seitdem ist eine kirchliche Trauung gänzlich ohne staatliche Eheschließung staatlicherseits erlaubt, bleibt aber ohne rechtliche Wirkung.

Massive Veränderungen im Eherecht gab es in den vergangenen zwei Jahrzehnten an anderer Stelle: Seit Homosexualität in den westlichen Gesellschaften immer stärker akzeptiert wird, wuchs der Wunsch nach einer rechtlichen Absicherung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. 2001 trat in Deutschland das Gesetz über die eingetragene Lebenspartnerschaft in Kraft - eine eheähnliche Rechtsform. 2017 beschloss der Bundestag dann die Ehe für alle. Das alles gegen den Widerstand der katholischen Bischöfe, die die Ehe auf die Beziehung zwischen Mann und Frau und die Orientierung auf Kinder begrenzt wissen wollen. Mittlerweile werden nach französischem Vorbild in Deutschland weitere Formen von Lebensgemeinschaften diskutiert. Die Ampelparteien haben sich im Koalitionsvertrag auf die Einführung einer "Verantwortungsgemeinschaft"  verständigt. Sie soll "Menschen rechtliche Sicherheit geben, die dauerhaft im Alltag Verantwortung füreinander übernehmen, aber keine Liebesbeziehung haben", erläuterte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Er will dazu 2024 einen Gesetzentwurf vorlegen.

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Katja Schmidtke

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