Kinderarmut
Essen, spielen, lernen

Nach der Schule ein warmes Essen und dann in den Hort: Das ist längst nicht für alle Kinder Realität. Private Initiativen wie die Arche in Berlin oder die Kindertafel in Hannover springen ein. Einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder gibt es erst ab 2026. | Foto: epd-bild/Christian Ditsch
  • Nach der Schule ein warmes Essen und dann in den Hort: Das ist längst nicht für alle Kinder Realität. Private Initiativen wie die Arche in Berlin oder die Kindertafel in Hannover springen ein. Einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder gibt es erst ab 2026.
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Wie der Eingang zu einem geheimen Garten wirkt die Eisentür in einem Innenhof mitten in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover. «Kindertafel Garten» steht in bunten Buchstaben auf dem Stahlgitter.

Von Charlotte Morgenthal

Dahinter wuselt die zehnjährige Nadine unter einigen Zweigen hindurch und zeigt voller Stolz auf Johannisbeersträucher und Erdbeerpflanzen.

Schulkinder finden hier seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht nur ein kostenloses warmes Mittagessen, sondern Betreuung bei den Hausaufgaben, lernen Gärtnern oder spielen zusammen. Laut Experten wie den Armutsforschern Christoph und Carolin Butterwegge muss der Staat mehr gute und gebührenfreie Bildungs- und Betreuungsangebote schaffen, um Familien angesichts der derzeitigen Preissteigerungen nicht noch weiter in finanzielle Notlagen zu bringen.

Die zehnjährige Nadine verbringt seit mehreren Jahren regelmäßig ihre Nachmittage bei der Kindertafel. «Heute gab es Tomatensauce mit Nudeln und Salat», erzählt sie. Ein paar Meter weiter können die Kinder durch große Fenster in die Küche schauen, wo die Schüler der Anna-Siemsen-Berufsschule wochentags die Mahlzeiten für etwa 20 Kinder im Alter von 6 bis 14 Jahren zubereiten. Ihren ursprünglichen Platz in einer Kirchengemeinde musste die Kindertafel vor drei Jahren räumen. Nun wird sie von der Stadt einen Bauwagen als Winterquartier erhalten.

Bettina Harborth, Geschäftsführerin vom Verein «Spokusa», der die Kindertafel betreut, sieht in diesem Jahr neuen Herausforderungen entgegen. Die Arbeit finanziere sich allein aus Spenden, und diese gingen merklich zurück, sagt sie. «Es ist schwierig, Prognosen abzugeben, aber wenn erst einmal die Steigerung der Energiekosten losgeht, werden es wohl auch mehr Kinder werden.» Leider sei man weit davon entfernt, dass das Angebot der Kindertafel irgendwann überflüssig sei.

Den Armutsforschern Butterwegge zufolge liegt die Zahl der armutsgefährdeten Kinder in Deutschland bei fast drei Millionen und hat einen Rekordstand erreicht. «Dass die Kinderarmut in einem reichen Land wie der Bundesrepublik jahrzehntelang über dem allgemeinen Bevölkerungsdurchschnitt liegt und immer neue Höchststände verzeichnet, muss erschrecken», sagt der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge. Durch die Pandemie habe sie einen weiteren Schub erhalten, und sie werde sich aufgrund der steigenden Energiepreise und der Inflation vermutlich weiter erhöhen. Auch für bislang nicht oder kaum betroffene Familien aus der unteren Mittelschicht könnte sich dieser Trend zuspitzen, ergänzt die Soziologin Carolin Butterwegge. «Das ist ein Trend, über den viel zu wenig geredet und gegen den kaum etwas unternommen wird.»

Die Initiatoren der Kindertafel wollen vor allem ein Angebot gegen soziale Armut schaffen. Auch Kinder, die keinen Hortplatz bekommen, können unabhängig vom Eltern-Einkommen zur Tafel kommen, um nicht allein Zuhause sein zu müssen.

Betreuerin Dana Nije, die seit 22 Jahren für die Kindertafel arbeitet, ist für viele der Mädchen und Jungen fast ein vertrautes Familienmitglied geworden. Sie erinnert sich noch an Kinder der ersten Generation: «Ein Junge, der nicht ganz einfach war, ist später als ausgebildeter Sanitär-Installateur gekommen, um unseren Wasserhahn zu reparieren», erinnert sie sich. «Dass er uns nicht vergessen hat, hat mich sehr gerührt.»
Der Garten sei auch in Corona-Zeiten zu einer guten Alternative geworden, sagt Nije. Aber wie die Kinder nach der Pandemie zurückgekommen seien, sei erschreckend gewesen. «Manche kamen gar nicht mehr, manche waren völlig in sich gekehrt.»

Für die neunjährige Tatjana ist die Tafel eine wichtige Anlaufstelle geblieben. Gemeinsam mit Nadine versucht sie sich zu erinnern, welche der selbst angebauten Früchte in diesem Sommer am besten geschmeckt haben. «Die Erdbeeren waren gut», schwärmt Nadine. «Manche lernen hier auch, dass Salami nicht an Bäumen wächst», sagt Betreuerin Nije schmunzelnd. Zum Abschied packt sie den Kindern noch Reste ein, die sie in ihren Schultaschen verstauen. Dann winken sie Nije zum Abschied vom Gartentor aus laut rufend noch mal zu: «Bis morgen!»

 (epd)

Autor:

Online-Redaktion

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