Kinder und Corona
Eltern sollten Ruhe, Zuversicht und Struktur vermitteln

Foto: pexels.com/ Tatiana Syrikova

Auch Kinder und Jugendliche leiden unter den sozialen Einschränkungen infolge der Corona-Pandemie, erklärt  Michael Kroll, Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Asklepios Fachklinikums in  Stadtroda. 

Die Corona-Krise mit ihrem notwendigen Gebot der physischen sozialen Distanzierung und all ihren Ungewissheiten betrifft besonders auch Kinder und Jugendliche. Kindergärten und Schulen sind geschlossen, ebenso wie Spielplätze und Sportstätten. Zwar ist es erlaubt, als Familie gemeinsam das Haus zu verlassen, doch ernten Menschen, die mit kleinen Kindern unterwegs sind, teilweise argwöhnische Blicke. Dabei fällt auch Kindern und Jugendlichen die sprichwörtliche Decke auf den Kopf – gerade dann, wenn die Wohnverhältnisse beengt sind und kein Garten vorhanden ist.

„Familien stehen vor neuen Herausforderungen. Insgesamt ist die gegenwärtige Situation ein Stresstest für Familien und Beziehungen“, sagt Michael Kroll, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Asklepios Fachklinikum Stadtroda. Die Ungewissheit über die Dauer des gegenwärtigen Zustandes macht manchen Familien beinahe mehr Angst als das Virus selbst, gerade wenn finanzielle Probleme und Arbeitslosigkeit hinzutreten. Viele lernen aktuell einen neuen „Betriebsmodus“ kennen, inklusive ungewohnter Nähe, auch zu sich selbst und möchten sich dem gern entziehen.

"Es gehe auch um eigene Vorstellungswelten, in die sich Kinder zurückziehen könnten, erläutert der Mediziner. Eine gute Idee sei es daher, Zelte oder Höhlen aus Decken oder ähnlichem in den Wohnräumen zu errichten."

„Es ist gerade viel Kreativität in Umlauf, im Internet und auch außerhalb“, so Krolls Eindruck. Auf Youtube werden Tutorien und Bildungsinhalte angeboten, Menschen vernetzen sich digital in Gruppen, Freunde halten über Skype, WhatsApp oder Instagram Kontakt mit Gleichaltrigen, kindgerechte Fernsehangebote erklären den Kleinsten die Situation.

„Kleine Kinder realisieren viel über das Stresslevel der Eltern. Kinder schwingen mit ihren Eltern mit und versuchen teilweise sogar, ihre Eltern zu stabilisieren. Wir realisieren immer wieder, dass Kinderseelen sehr sensible sind und dass Kinder mehr mitbekommen als man denkt“, erklärt Kroll. Es gelte, den Kindern Ruhe und Zuversicht zu vermitteln. Wichtig sei es außerdem, den Kindern Strukturen zu geben, feste Aufsteh- und Mahlzeiten, gemeinsame Rituale, wie Spielen oder Vorlesen.

„Kleinere Kinder unter fünf Jahren haben nicht die Abstraktionsfähigkeit, sich die Zeit danach vorstellen zu können“, betont Kroll. Größere Kinder könnten beispielsweise jeden Tag der verminderten Bewegungsfreiheit auf ein gedankliches Konto packen - als bewältigter Teil einer noch unklaren Strecke.  Schulkinder, die sich anfangs über die „Corona-Ferien“ gefreut haben mochten, begreifen jetzt vielfach, was sie durch den Schulalltag auch an Schönem gehabt haben. Schule gebe den Familien insgesamt Halt und Struktur. Auch vielen Eltern werde gerade erst bewusst, was sie an den Lehrern haben, so Krolls Eindruck. Jetzt käme es vor allem auch darauf an, wie das Unterrichten und Lernen digital fortgesetzt werde und wie Lehrer und Schüler, aber auch Schüler untereinander Kontakt halten können. Die Möglichkeiten der Online-Kommunikation begreift er als Chance.

„Schulkinder stehen, wie wir alle, vor der Herausforderung, diese Zeit zu füllen“, sagt der Kinder- und Jugendpsychiater und empfiehlt etwa, ein Buch gemeinsam zu lesen. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die „Harry Potter“-Autorin J. K. Rowling und ihr Buch „Was wichtig ist“. Die wichtigsten Dinge derzeit seien erstens: mit Krisen umgehen zu können. Und zweitens: für sich selbst ein eigenes Thema oder Projekt zu finden. Es gehe auch um eigene Vorstellungswelten, in die sich Kinder zurückziehen könnten, erläutert der Mediziner. Eine gute Idee sei es daher, Zelte oder Höhlen aus Decken oder ähnlichem in den Wohnräumen zu errichten.

Im Unterschied zu Jüngeren haben Jugendliche in der Pubertät zusätzlich mit ihren Hormonen zu kämpfen, mit dem Gefühl, weder Fisch noch Fleisch – und sowieso unverstanden zu sein. „Jugendliche sind auf Soziales geprägt, auf das Zusammensein mit Gleichaltrigen“, sagt Chefarzt Kroll. Deshalb sei es vielen auch anfangs so schwergefallen, auf Partys und das Treffen von Freunden im Park zu verzichten – zumal im Frühling.

Struktur und Kontrolle seien wichtig, Aushandeln und Kompromisse aber unverzichtbar. Dass Treffen in Gruppen oder „Corona-Partys“ kontrolliert und aufgelöst werden, sei völlig richtig. Die Pubertierenden zu Hause „einzusperren“ sei allerdings auch nicht der richtige Weg.

Jugendliche, die gerade kurz vor dem Abitur oder der Mittleren Reife stehen, bedürfen aufgrund der unsicheren Situation besonderen Zuspruchs. „Auch für die jungen Patienten in der Klinik versuchen wir hier Mittel und Wege zu finden“, sagt Michael Kroll. Wichtig sei es, den Kindern im Hinblick auf die Prüfungen zu verdeutlichen, dass es Plan A und Plan B gebe. Das heißt: Gelernt werden soll so, als ob die Prüfungen stattfänden, wie gedacht. Wenn die Prüfungen verschoben werden, dann ergeben sich andere Wege.

Eltern von Kindern aller Altersgruppen sollten ungeachtet aller Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten versuchen, das Positive wahrzunehmen und den Kontakt mit ihren Kindern zu stärken. Für die Zeit „danach“ sei es von Vorteil, sich die Dinge zu vergegenwärtigen und sie wertzuschätzen, die uns so selbstverständlich erscheinen und deren Wegfallen jetzt so schmerzt. „Vielleicht wird einigen dann bewusst, wie toll es ist, dass wir in Freiheit und Demokratie leben“, sagt Kroll.

(red)

Hintergrund

Kinder und Jugendliche in der Corona-Krise

  • Die Corona-Krise ist ein Stresstest für Familien und Beziehungen. Wichtig ist es, Kindern aller Altersgruppen Ruhe, Zuversicht, Halt und Struktur zu geben.
  • Kleine Kinder realisieren viel über das Stresslevel der Eltern. Sie bekommen mehr von der gegenwärtigen Situation mit als die Eltern denken, können aber noch nicht genug abstrahieren, um sich die Zeit „danach“ vorzustellen.
  • Schulkinder sollten das Lernen digital fortsetzen und online Kontakt zu ihren Mitschülern und Lehrern halten.
  • Im Zusammenleben mit Jugendlichen in der Pubertät ist jetzt besonders das Aushandeln von Kompromissen gefragt. Wer vor Abitur oder Mittlerer Reife steht, braucht einen Plan A (Lernen, in der Hoffnung, dass die Prüfungen am Termin stattfinden) und einen Plan B (Die Welt geht nicht unter, wenn die Prüfungen verschoben werden).
  • Das Treffen in Gruppen und „Corona-Partys“ sind verboten.
Autor:

Online-Redaktion

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