Barenboim-Said-Akademie
Begegnungsort für Israelis, Palästinenser und Iraner

Daniel Barenboim bei der Probe mit Studenten im Pierre Boulez Saal | Foto: Barenboim-Said Akademie/Peter Adamik
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Regula Rapp leitet die Barenboim-Said-Akademie. Die Musikhochschule bringt Studierende aus dem Nahen und Mittleren Osten, aus Israel, Palästina oder dem Iran, in Berlin zusammen. Im Interview mit Von Anna Mertens erzählt die ehemalige Operndramaturgin, was die Hochschule ausmacht, worüber gestritten wird und warum Musik alle eint.

Wie verfolgen Sie derzeit die Nachrichten aus dem Nahen Osten? Beginnen Sie damit Ihren Tag?
Regula Rapp:
Als ich von Daniel Barenboim gefragt wurde, ob ich den Posten als Rektorin antreten möchte, war mir klar, dass er nicht nur eine Hochschulleiterin sucht, sondern auch jemanden, der sich in die Themen und seine Vorstellungen von einer neuen Art von Musikausbildung einarbeitet. Seit Amtsantritt verfolge ich die Nachrichten morgens und abends. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 auch darüber hinaus. Es geht um das Klüger-werden einerseits und um das Mitempfinden andererseits. Ich will mit den Studierenden, die mehrheitlich aus dem Nahen Osten kommen, im Kontakt und Austausch sein und nicht nur wissen, wie es ihnen heute geht, sondern auch, was ihre Herkunft für das Leben und Studieren hier bedeutet.

Reisen Sie viel in den Nahen Osten?
Ich bin gereist. Wenige Wochen nach meinem Amtsantritt 2022 war ich in Israel und in unserem Konservatorium in Ramallah. Später war ich nochmals dort und auch im Libanon und Jordanien. Ich würde gerne so bald wie möglich wieder Masterclasses mit unseren Professoren in der Region veranstalten und Alumni dort hinschicken, um über unsere Institution zu informieren. Hoffentlich können wir diese Reisen im Herbst wieder aufnehmen, aktuell ist es kaum möglich.

Rektorin Regula Rapp  | Foto: Barenboim-Said Akademie/Peter Adamik
  • Rektorin Regula Rapp
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"Der Schlüssel zu diesem Bildungsprojekt ist Begegnung" ist ein Leitsatz von Akademiegründer Daniel Barenboim. Ist Begegnung in diesen politischen Zeiten in Berlin noch möglich?
Die Studierenden entscheiden sich bewusst dafür an dieser besonderen Akademie zu studieren. Sie durchlaufen eine kompetitive, zweistufige Aufnahmeprüfung. Entsprechend bringen sie eine grundsätzliche Bereitschaft zum Austausch, Neugier und Freude am gemeinsamen Musizieren mit. Darüber hinaus haben alle die Pflichtfächer Literatur, Philosophie und Geschichte. Hier lernen sie das Diskutieren von Thesen, das Verstehen von Texten. Es geht um Demokratie und Geschichte. Natürlich wird da auch mal schärfer gestritten. Und nach dem 7. Oktober haben auch einige mitgeteilt, sie könnten gerade nicht zum Unterricht erscheinen.

Wie sind sie damit umgegangen?
Ich hatte am Anfang die Präsenzpflicht ausgesetzt. Und dann habe ich mich nach Wochen bei den Professoren erkundigt: Alle waren wiedergekommen! Zusätzlich haben wir ein Fach neu eingerichtet. Es heißt Middle Eastern Studies und beschäftigt sich intensiv mit der Geschichte und Struktur des Nahen Osten.

Beschäftigt der Nahost-Konflikt alle Studierenden oder blenden viele das in Berlin aus?
Es ist immer Thema. Aber wenn das Musizieren ansteht, dann lenkt sich die ganze Kraft und Konzentration darauf. Unsere Hauptaufgabe junge, engagierte Musikerinnen und Musiker auszubilden, hat noch an Bedeutung gewonnen. Ich habe versucht, mit folgendem Satz zu arbeiten: Der Krieg ist größer als wir alle. Aber auch die Musik ist größer als wir.

Das heißt Musik hilft bei der Verständigung?
Absolut. Ein international besetztes Kammermusikensemble, das sich Streichquartette von Schubert, Haydn und anderen vornimmt, muss intensiv arbeiten. Die Musiker müssen sich über die Lautstärke, das Tempo und weiteres verständigen, gemeinsam proben, und letztlich auf die Bühne gehen. Diese Prozesse, das gemeinsame Musizieren, verbindet. Hier entsteht ein Diskurs- und Verständigungsraum. Die Musik gibt Halt und stiftet Sinn.

Der Krieg ist größer als wir alle. Aber auch die Musik ist größer als wir.

Wie viele Studierende gibt es aktuell?
87 aus 27 Ländern.

Gibt es bei Ihnen auch iranische Studierende?
Ja, und es war ganz schrecklich, wie unsere iranischen Studierenden plötzlich keinen Kontakt mehr in ihre Heimat hatten. Die Studenten haben sich rund um die Uhr abgelöst, um jede Möglichkeit einer SMS in den Iran abzupassen. Es gab - so hörte ich - ein Treffen der iranischen Studierenden für Austausch und Unterstützung untereinander, zu dem sie die israelischen Studierenden eingeladen haben.

Ist die Barenboim-Said Akademie ein Ort des interreligiösen Dialogs?
Natürlich ist Religion Thema, aber wir sind an erster Stelle eine Musikhochschule. Wir wollen denkende, kluge, gebildete Musikerinnen und Musiker ausbilden.

Gibt es bei Ihnen auch Proteste?
Bislang nicht, nein. Aber wir sind auch eine kleine Hochschule und wie gesagt unsere Bewerber sind grundsätzlich interessiert an Austausch mit anderen Weltbildern und politischen Meinungen. Gleichzeitig ist das Musikstudium unheimlich fordernd und setzt eine enorme Disziplin voraus. Das trägt vielleicht auch dazu bei, dass es an der Akademie bislang keinen Protest gab.

Barenboim-Said Akademie | Foto: Barenboim-Said Akademie/Volker Kreidler
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Ist Ihre Hochschule ein elitäres Projekt?
Die Bedingungen, unter denen junge Talente ein Instrument lernen, sind sehr unterschiedlich. Die Herkunftsfamilie spielt eine große Rolle. Aus diesem Grund haben wir ein Vorbereitungsjahr, das ausschließlich für Studierende aus dem Nahen Osten gedacht ist. Damit hoffen wir die Ungleichheit ein Stück weit aufzufangen. Es ist nach wie vor herzzerreißend, mit was für qualitativ minderwertigen Instrumenten die Studierenden teils zu uns kommen. Mein Grundsatz ist aber: Qualität ist nie elitär, und danach streben wir.

Deutschlands Umgang mit Israel ist historisch gesehen hochkomplex. Bei Kritik an Israel schwingt stets der Antisemitismus-Vorwurf mit. Wie gehen Sie damit um?
Auch das spielt hier eine Rolle. Die Heimat der Studierenden ist der Nahe Osten, aber die Heimat der Hochschule ist Berlin. Das ist erklärungsbedürftig, und das wollen und müssen wir den Studierenden nahebringen und haben uns hierzu nach dem 7. Oktober auch intern weitergebildet.

Nächstes Jahr feiert die Akademie ihr zehntes Jubiläum. Wie geht es weiter?
Wir haben eine Reihe gute Ideen, die wir umsetzen, zum Beispiel eine neue Professorin für transkulturelle Musikpädagogik, die ihren Unterricht bewusst auf die Heimatländer der Studierenden abstimmt. Wir wollen unsere Absolventen in die Lage versetzen, in der Heimat etwa in einem Flüchtlingslager oder in anderen Kontexten und unter herausfordernden Bedingungen zu arbeiten. Uns braucht es jetzt wirklich, und ich denke, wir werden aus dieser furchtbaren Kriegssituation auch lernen. Wir glauben weiter an den Klang der Utopie.

(kna)

Daniel Barenboim bei der Probe mit Studenten im Pierre Boulez Saal | Foto: Barenboim-Said Akademie/Peter Adamik
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