Predigttext zum Sonntag
Wenn es im Inneren wütet

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Und der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick. Da sprach der Herr zu Kain: Warum ergrimmst du?
1. Mose 4, Verse 4 bis 6

Es ging scheinbar um nichts. Nur der falsche Blick entfesselt die Gewalt. Gott sieht den Abel an. Kain aber sah er nicht an. Und Kain, der ohne Ansehen, erschlägt den Abel. Kain war nicht bedroht. Es ging weder um Besitz noch um Geld noch um Frauen. Kain war beleidigt. Kain war gekränkt. Er fühlte sich in der Aufmerksamkeit, von der er dachte, dass sie ihm zustand, zu kurz gekommen.

Der Kain-und-Abel-Mythos eröffnet die Menschheitsgeschichte. Adam und Eva hatten zwar den Verlust des Paradieses herbeigeführt. Aber sie frevelten nur gegen ihren Schöpfer. Den Zwist untereinander brachten Kain und Abel in die Welt. Und erst in diesen beiden vermögen wir uns wiederzuerkennen: gezeugt von Mann und Frau, geboren und arbeitend sich eine Stellung in der Welt verschaffend.

Es ist leicht, über die Kränkungen der anderen den Kopf zu schütteln. Im Kern wird hier von einem Streit ums Essen erzählt. Wegen so einer Kleinigkeit! Die Gekränkten werden auch noch selbst für ihre Kränkungen verantwortlich gemacht. »Was guckst du denn jetzt so«, herrscht Gott den verschmähten Kain an. Kain hätte wohl etwas zu erzählen, wenn der Herr ihm nur zuhören könnte.

Die scheinbare Zwangsläufigkeit der Handlung leuchtet psychologisch nicht ein. Mir geht es hier so wie bei der anderen Urerzählung von Adam und Eva, und ich denke an das unbefriedigende Gefühl, das bleibt, wenn der Griff zum Apfel plötzlich zur Verursachung der Sünde für alle wird.

Und doch ist das Bild dieses Mythos wahr. Es braucht nicht viel, dass im Menschen die Aggression durch alle zivilisierten Sicherungen durchbricht. Wir verstehen, was mit dem »dünnen Firnis der Zivilisiertheit« gemeint ist, wenn es im Inneren wütet, zürnt und hasst, wenn die Vernunft nicht mehr zum Zuge kommt. Wenn Kränkungen, und seien es von einer äußeren Perspektive aus gesehen auch nur »empfundene Kränkungen«, Menschen zu Gegnern, ja zu Feinden werden lassen. Dann wird’s dünn, wenn wir uns nicht mehr anschauen können. 

Christian Buro, Pfarrer in Beuster

Christian Buro, Pfarrer in Beuster | Foto: privat
Autor:

Online-Redaktion

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