Wort zur Woche
Wenn der Schlangenbiss nicht tötet

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Der Menschensohn muss erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.
Johannes 3, Verse 14b–15


In der Kirche, in der ich konfirmiert wurde, steht ein Kanzelaltar – Merseburger Barock von 1723. Die Kanzel wird von zwei Figuren flankiert: rechts steht Johannes der Täufer, links steht Mose mit bedecktem Gesicht und der ehernen Schlange. Schlangen sind nicht mein Fall.

Von Karsten Müller

In der Schlangenplage, von der im 4. Mosebuch erzählt wird, wäre ich verloren gewesen. Überall Schlangen – das möchte ich mir nicht vorstellen. Der Ausweg aus der Lebensbedrohung durch die Schlangenbisse ist eigenartig: Mose stellt ein Schlangenbild aus Metall her und befestigt es an einer Stange. Wer nach einem Schlangenbiss dieses Bild anschaut, stirbt nicht. Absurd – was soll das?

Der Bildhauer Christian Trothe hat für die Oberklobikauer Kirche eine sehr realistische Schlange geschaffen. Allerdings windet sie sich nicht um eine Stange, sondern um ein Kreuz. Die Frage, ob man Mose ein Kreuz in die Hand geben darf oder nicht, beantworten wir 2023 anders als 1723. Auf der Habenseite kann notiert werden: Das Bild der Schlange am Kreuz greift die ganze Bibelstelle auf, von der es nur ein Bruchstück in den Rang des Wochenspruchs geschafft hat: „Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.“ Die Erhöhung von Jesus ist eine Umschreibung für seine Hinrichtung. Die Schlange an der Stange ist ein Bild aus Metall. Am Kreuz hängt ein Mensch aus Fleisch und Blut. Der Glaube an den Gottverlassenen ist die Grundlage von Leben über den Tod hinaus. Absurd – was soll das?

Vielleicht kommt etwas Licht ins Dunkel, wenn wir uns in den Gottesdiensten nicht mit dem Wochenspruch begrüßen, sondern auf das hören, was die Schrift sagt. Wer einen lieben Menschen verliert, dem ist in der Trauer nicht selbstverständlich, dass aus dem Tod neues, ewiges Leben erwächst. Zunächst ist die Trennung da. Jesus fehlt. „O große Not, Gotts Sohn liegt tot“. Vielleicht sollten wir das bewusst singen. Vielleicht geht uns ein Licht auf.

Der Autor ist Pfarrer in Halle.

Karsten Müller | Foto: Privat
Autor:

Online-Redaktion

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