Katholisch-jüdischen Dialog
Rote Linien, Irritationen und Nahost
- Foto: epd-bild/Paul-Philipp Braun
- hochgeladen von Online-Redaktion
Eine 180-Grad-Wende im katholisch-jüdischen Dialog - nichts weniger ist aus Sicht des Frankfurter Rabbiners Julian-Chaim Soussan, Vorstandsbeirat der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland, das vor 60 Jahren verabschiedete Konzilsdokument "Nostra aetate". Mit dieser Erklärung öffnete sich die katholische Kirche dem Dialog mit den nicht-christlichen Religionen. Zusammen mit dem Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr, bei der Deutschen Bischofskonferenz zuständig für den Dialog mit dem Judentum, blickt Soussan im Gespräch mit Karin Wollschläger auf Antisemitismus in Deutschland, die erste Ministerin mit jüdischen Wurzeln, den Nahostkonflikt und Probleme beim gemeinsamen Beten.
Herr Bischof Neymeyr, Herr Rabbiner Soussan - was sind die größten Meilensteine im katholisch-jüdischen Dialog seit "Nostra aetate"?
Neymeyr: Dazu zählt sicher, dass mit Johannes Paul II. 1986 erstmals ein Papst eine Synagoge besucht hat. Ich zähle dazu auch das Apostolische Schreiben "Evangelii Gaudium" von Papst Franziskus, worin er nochmals ausführt, warum wir als katholische Kirche keine Juden missionieren. Und nicht zuletzt unser etabliertes, jährliches Dialogtreffen der Rabbiner-Konferenzen mit der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland, wo wir uns intensiv über ethische Themen austauschen.
Soussan: Ich stelle dabei immer wieder erstaunt fest, dass wir häufig als orthodoxe Rabbiner mehr Gemeinsamkeiten mit den katholischen Bischöfen haben als mit den nicht-orthodoxen Rabbinern. Wir teilen einen gemeinsamen Wertekanon, etwa mit Blick auf Familie.
Was die Meilensteine betrifft: Die Veränderungen kann man gar nicht hoch genug schätzen. Knapp 1.900 Jahre hat die katholische Kirche einen Antijudaismus geprägt, der unter anderem darin bestand, dass man den Juden kollektiv den Gottesmord vorgeworfen hat. Mit "Nostra aetate" hat man sich davon klar distanziert und auch Antisemitismus ausdrücklich verurteilt.
Das Dokument ist in meinen Augen in vielerlei Hinsicht eine 180-Grad-Wende der theologischen Grundsatzannahmen der katholischen Kirche. Dazu zählt auch, dass man nicht mehr die Ansicht vertritt, dass das Christentum quasi das Judentum abgelöst hat, sondern der Bund zwischen Gott und dem Judentum gleichberechtigt fortbesteht.
"Nostra Aetate" ruft auf, Missverständnisse im Dialog auszuräumen - welche bestehen noch?
Neymeyr: Ich würde eher von Irritationen sprechen. Ein Beispiel: Unsere jüdischen Gesprächspartner waren 2007 durchaus entsetzt, als mit der Wiederzulassung der alten Liturgie als außerordentliche Form der Messfeier durch Papst Benedikt XVI. auch die alte Karfreitagsfürbitte wieder ermöglicht wurde, wonach die Juden im Glauben erleuchtet werden müssten. Das war eine erhebliche Schwierigkeit im christlich-jüdischen Dialog. Wir haben sie einigermaßen behoben, aber ich fürchte, das wirkt trotzdem nach.
Soussan: Es kommt da auf eine Sensibilität bei Formulierungen an. Wenn wir uns im Dialog austauschen, macht es ja nicht ungeschehen, dass über 1.900 Jahre Pogrome stattgefunden haben, Zwangskonversionen, Zwangstaufen. Aber unser Dialog schafft die Voraussetzung dafür, dass Vertrauen wächst. Doch dieses Vertrauen ist fragil, wenn Dinge wieder durch einzelne Aussagen infrage gestellt werden. Aber ich muss sagen, der christlich-jüdische Dialog in Deutschland zählt zu den besten weltweit.
Es haben inzwischen mehrere Päpste Synagogen besucht - wann wird ein orthodoxer Rabbiner eine katholische Kirche besuchen?
Soussan: Das ist tatsächlich problematisch. Den orthodoxen, also den traditionsgebundenen Juden ist es nicht erlaubt, in eine Kirche zu gehen. Das hat verschiedene theologische und historische Gründe. Juden wurden etwa zwangsweise in Kirchen geschleppt. Noch in den 1950er und 60er Jahren war die paradoxe Position, dass man im christlich-jüdischen Dialog über alles reden könne - außer über Theologie. Da sind wir heute viel weiter.
Aber was weiterhin nicht funktioniert, ist gemeinsam zu beten, zumindest aus orthodoxer Sicht. Was ich mir wünsche, ist Respekt gegenüber den theologischen Verschiedenheiten. Es käme ja auch niemand auf die Idee zu sagen: Es wäre doch schön, wenn wir an Jom Kippur gemeinsam eine Mahlzeit einnehmen.
Welche Herausforderungen wollen Sie in absehbarer Zukunft gemeinsam angehen?
Neymeyr: Da ist sicher der Kampf gegen den zunehmenden Antisemitismus in Deutschland. Es ist unglaublich, fast unvorstellbar und alarmierend, was zurzeit auch in Deutschland antisemitisch geschieht, dass Juden angepöbelt, geschlagen werden, dass ihnen ein Davidstern vom Hals gerissen wird. Wir haben hierzulande eine für Juden unheilvolle Verbindung von islamistisch motiviertem Antisemitismus und nationalsozialistisch beziehungsweise rechtsextrem motiviertem Antisemitismus.
Soussan: Es ist unglaublich wichtig, dass wir gemeinsam Signale setzen gegen die Extreme in unserer Gesellschaft und für Demokratie und Toleranz, gerade auch mit Blick auf die kommenden Wahlen. Wir müssen dabei auch den linken Antisemitismus sehen und vor allen Dingen den salonfähig gemachten intellektuellen Antisemitismus im Gewand von Anti-Israelismus. Man hat das Gefühl, es kommt von allen Seiten. Da sind die klaren Statements gerade von der Deutschen Bischofskonferenz immer wieder ein wichtiger Teil der Vertrauensbestätigung.
Inwiefern genau?
Soussan: Die Bischofskonferenz hat zum zweiten Jahrestag des Hamas-Massakers vom 7. Oktober eine lange Stellungnahme veröffentlicht, die im Gegensatz zu vielen relativierenden Stellungnahmen von anderen Seiten sehr ausgewogen und differenziert ist, aber auch klare Solidarität signalisiert: mit den Juden, die deshalb Antisemitismus zu erleiden haben, und mit Israel - ohne das Leid der Palästinenser aus dem Blick zu verlieren. Diese Differenziertheit ist etwas, das uns wieder beruhigt. Wir nehmen eine große Empathie wahr. Ich möchte aber auch einen Elefanten im Raum benennen.
Nämlich?
Soussan: Ich habe etwas den Eindruck, dass es weltweit so gesehen wird: "Naja, ihr Deutschen mit eurem Schuldkomplex gegenüber den Juden müsst das ja machen." Manchmal höre ich auch im öffentlichen Diskurs in Deutschland: "Wir finden zwar nicht gut, was die Juden oder Israelis machen, aber weil wir halt die Schoah verursacht haben, müssen wir trotzdem solidarisch sein." Das halte ich für einen vollkommen falschen Ansatz. Der Ansatz muss sein: "Weil wir die Schoah verursacht haben, lernen wir aus diesen Fehlern und sind besonders vorsichtig, sensibel, erkundigen uns noch mehr und sind empathischer. Nicht aus Schuld, sondern aus der Verantwortung."
Der Vatikan ist ja um diplomatische Neutralität bemüht, insbesondere im Nahostkonflikt. 2015 hat der Heilige Stuhl Palästina aber als eigenen Staat anerkannt. Ist das aus orthodoxer Sicht problematisch?
Soussan: Die Anerkennung eines palästinensischen Staates ist Symbolpolitik. Man möchte dem Wunsch Ausdruck verleihen, dass es eine Zwei-Staaten-Lösung gibt. Seit sich Israel 2005 aus Gaza zurückgezogen hat, regiert dort die Hamas, und die propagiert eine Einstaat-Lösung - ohne Israel! Daher kann eigentlich niemand heute eine Zweistaatlösung wünschen, ohne eine Vorstellung, wer dann im designierten Palästina auch tatsächlich Israel anerkennt und Frieden garantieren kann.
Neymeyr: Man darf ja nicht übersehen, dass Israel der einzige Staat ist, dem andere Staaten die Vernichtung erklärt haben. Und die Hamas will das auch.
Blicken wir zurück nach Deutschland. Herr Bischof, die Bundesrepublik hat mit Karin Prien jetzt die erste Ministerin mit jüdischen Wurzeln. Welche Bedeutung messen Sie dem bei?
Neymeyr: Einerseits sollte es keine Bedeutung haben, weil es selbstverständlich sein sollte, dass in Deutschland auch Juden in politische Verantwortung kommen. Aber es spielt natürlich doch eine Rolle. Ich denke, wir machen damit einen kleinen Schritt hin zur Normalität. Natürlich hat man als Jude ständig eine wache Aufmerksamkeit für das Judentum, aber die kann man eigentlich von allen erwarten, die in Gesellschaft, Politik und Kirche Verantwortung tragen.
Herr Rabbiner, Frau Prien ist nach jüdischem Religionsgesetz keine Jüdin. Sie hat zwar zwei jüdische Großväter, aber die Zugehörigkeit zum Judentum wird ja über die Mutter weitergegeben. Macht das jetzt einen Unterschied?
Soussan: Ich glaube, dass wir an den Punkt kommen müssen, wo es für die Öffentlichkeit bedeutungslos sein sollte, welcher religiösen Zugehörigkeit man angehört. Als Ministerin für Bildung und Familie kann sie auf sehr viele, schöne jüdische Werte zurückgreifen. Wenn sie dieses "Erbe" nutzt, umso besser. Aber sie wird wahrscheinlich nicht deshalb eine bessere oder schlechtere Ministerin sein, weil sie jüdische Wurzeln hat. Insofern macht es für mich auch keinen Unterschied, ob sie nach jüdischem Gesetz jüdisch ist oder nicht, sondern ich hoffe und wünsche mir, dass sie einfach einen guten Job macht.
(kna)
Autor:Online-Redaktion |
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.