Wochenlied-Serie – Folge 4
Du meine Seele, singe

Foto: eva-leipzig.de

Das Evangelische Gesangbuch feiert sein 500-jähriges Jubiläum. In einer Serie stellen Kirchenmusiker aus Mitteldeutschland einmal im Monat ein Wochenlied vor. Diese Folge dreht sich um das Lied "Du meine Seele, singe" (EG 302).

Von Christian Otto 

Das Wunder von Ostern feiern – das wollen die sechs Sonntage, die auf dieses älteste christliche Fest folgen. Ganz auf das Singen ausgerichtet ist der Sonntag Kantate – „Singet!“ und stellt das Singen neben Jubeln, das Beten und Hören. Ihm ist das Lied „Du meine Seele, singe“ zugeordnet – diese Verbindung ist noch jung und wurde mit der überarbeiteten Leseordnung 2018 getroffen.

Mit „Du meine Seele, singe“ ist eines der unverwechselbaren wie beliebten Kirchenlieder ausgewählt worden. Der barocke Textdichter ist Paul Gerhardt, die Melodie stammt von Johann Georg Ebeling. Beide Autoren sind durch die Nikolaikirche Berlin als Dienstort verbunden. So einfach und geradlinig, wie man meinen könnte, ist die Geschichte des Liedes aber nicht: Text und Melodie fanden erst Ende des 19. Jahrhunderts zueinander, ursprünglich war eine andere Singweise üblich.

Welch einmalige Melodie wir hier vor uns haben, eine wahre Sensation! Der musikalische Verlauf schwingt sich als eröffnende Geste hoch auf. Schon acht Töne sind ein beachtlicher Weg, wie ich es zum Einsingen in meinen Chören hin und wieder mit dem bekannten Kanon „Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang“ praktiziere. Sich aber mit „Du meine Seele …“ einzulassen auf zehn Töne, das ist außergewöhnlich, sich im Singen gleichsam geistlich auszurichten auf Höheres – das ist eine herrliche gesungene Meditation.

Gerhardts Text ist eine Nachdichtung von Psalm 146, einem der letzten Psalmen des Gesangbuches Israels. Schon am Jerusalemer Tempel müssen Sänger gewirkt haben, und wir stellen uns in eine große Reihe der Menschen vor uns, die Gott Lob gesungen haben. Dieser Psalm gehört zur Gattung der Hymnen, der Preisungen im Psalter und Gerhardt geht in seiner Nachdichtung an den zehn Versen dieses Textes entlang, wobei Strophe zwei und drei in unserem Gesangbuch ausgespart sind.

Der Psalm besingt die Herrlichkeit Gottes, seine Schöpfermacht: „der Himmel und Erde gemacht hat …“ Es ist ein Text, der eine unumstößliche, feste Bindung zu Gott ausdrückt, der „Treue hält“, „der Recht schafft“, der aufrichtet, die „niedergeschlagen sind“. Gerhardt findet in seiner Nachdichtung des Psalmtextes starke, farbige, lebensnahe Sprachbilder, wie es ihm im Besonderen gegeben war, und was sein Werk zu einem Höhepunkt der protestantischen Lieddichtung macht.

In unserem Gesangbuch steht ebenso eine Liedfassung zu Psalm 146 von Johann Daniel Herrnschmidt, und in der Geschichte des Psalmliedes überhaupt ist Reformationsgeschichte abgebildet: den Bibeltext in die Volkssprache zu übertragen als Herzensanliegen. Luther selbst war ein fleißiger Liederdichter und Nachdichter von Psalmen und Hymnen lateinischer Sprache.

Weitet man den Blick auf die anderen Reformatoren, so tritt der hohe Stellenwert zutage, den Luther der Musik beimisst: Zwingli verbannte die Musik aus dem Gottesdienst, für Calvin war allein der Psalmengesang im Gottesdienst als einzige Form des Gemeindeliedes am Platz.

500 Jahre Evangelisches Gesangbuch: ein Schatz. Das Singen: ein Glück. Lassen Sie uns so beschenkt nicht nur zurück-, sondern vorausblicken, mit Gutem gerüstet, und die Botschaft des Friedens und der Liebe weiter in die Welt tragen, mit alten und neuen zukünftigen Liedern und Gesangbüchern: „wohlauf und singe schön!“

Der Autor ist Domkantor in Magdeburg.

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Online-Redaktion

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