Justo Gallego Martínez
von Mejorado del Campo
- Justo Gallego Martínez (1925 - 2021)
- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
Justo Gallego Martínez … war keiner von denen, die etwas von der Welt wollten. Und gerade deshalb hat er der Welt etwas gegeben, was die weder bestellt noch verdient hatte. Er gab der Welt ein Gebäude, das für seine Zeit von Anfang an zu groß war und für alle weltlichen Vernunftsbegriffe zugleich zu klein. Justo Gallego Martínez, dieser Mann, der nichts hatte außer seine Hände, seinen Atem und ein eigensinniges Verhältnis zu Gott. Dieser sonderbare Mann tat etwas, was man gewöhnlich nur als Verrücktheit bezeichnet, wenn man sich selbst vor dem Gedanken schützen will, dass es auch Ernst sein könnte, tödlicher Ernst sogar. Denn was ist gefährlicher als ein Mensch, der nicht aufhört?
Er hat gebaut, nicht im Sinne des Bauens, wie es die Bauordnungen und Statikhandbücher meinen, sondern im Sinn des Beharrens. Tag für Tag, Jahr um Jahr, Jahrzehnt um Jahrzehnt. Während Regierungen kamen und verschwanden, während Architekturstile sich gegenseitig auffraßen, während die Kirche selbst ihre Gewissheiten neu austapezierte, setzte er einen wirklichen Stein auf den anderen wirklichen. Nicht weil es effizient oder genehmigt worden war, sondern weil er es für notwendig hielt. Notwendig für ihn, und vielleicht, das ist der eigentliche Skandal, notwendig für Gott.
Man sagt, er sei kein Architekt gewesen. Und das stimmt auch - ist jedoch völlig gleichgültig. Man hat gesagt, er habe ohne Plan gebaut. Auch das stimmt, und ist entscheidend. Denn Pläne sind die Versicherungen der Zaghaften. Er hatte keine. Er hatte nur eine Vorstellung, und Vorstellungen sind gefährlicher als jede Bauzeichnung. Sie verlangen Opfer, und sie geben keine Garantien. Wer mit einer Vorstellung baut, baut gegen die Zeit, und genau das hat er getan.
Seine Kathedrale ist kein Bauwerk im kirchlichen Sinn, sie ist kein Bauwerk im staatlichen Sinn, sie ist nicht einmal ein Bauwerk im ästhetischen Sinn. Diese Kathedrale ist ein Satz, der nicht endet. Ein Satz ohne Punkt, ohne Absatz, ohne editorische Kontrolle. Man sieht den Bau an, dass er gedacht - aber nicht berechnet wurde. Und dass diese Kirche gewachsen ist, nicht geplant. Dass sie mehr Willen als Wissen enthält. Und genau deshalb steht sie da, trotzig, schief, groß, lächerlich und erhaben zugleich, wie alles, was aus innerer Seelen-Notwendigkeit entsteht.
Man hat sie mit dem Turm von Babel verglichen, und das ist falsch. Babel war ein Projekt der Vielen, ein Projekt der Überheblichkeit, ein Projekt, das höher hinaus wollte als die eigene Sprache reicht. Gallegos Bau ist das Gegenteil. Ist das Projekt eines Einzelnen - und zwar nicht aus Hybris, sondern aus Mangel. Nicht aus Macht, sondern aus Ohnmacht. Babel wollte Gott erreichen, Gallego wollte ihm etwas schenken. Ein Riesenunterschied, den man erst versteht, wenn man alt ist oder krank war oder beides.
Und dann, genau an diesem Punkt, wo die Vernunft aussteigt und der Spott gewöhnlich einsetzt, geschieht in der Vorstellung etwas, was man sich nur erlauben kann, wenn man die Ironie verloren hat oder sie bewusst beiseite legt. Die Engel kommen. Nicht als Putztruppe mit Sicherheitshelmen, nicht als Bauaufsicht mit Checklisten, sondern als das, was sie immer waren: Vollender. Sie steigen herab, wohlgefällig, nicht eilig, nicht spektakulär, und sie tun das, was der Mensch allein nicht mehr tun konnte. Sie richten, sie schließen, sie fügen. Nicht um das Werk zu perfektionieren, sondern um es abzuschließen. Denn nichts ist grausamer als ein Werk, das den Tod seines Erbauers überlebt und unfertig bleibt.
In diesem Augenblick ist der Bau vollendet, nicht technisch, nicht rechtlich, sondern existenziell. Er ist fertig, weil er nicht mehr wachsen muss. Weil er gesagt hat, was er sagen wollte. Weil er bewiesen hat, dass Ausdauer eine Form von Wahrheit sein kann. Kein Turm, der den Himmel erzwingen will, sondern ein Raum, der offen bleibt. Kein Denkmal der menschlichen Größe, sondern ein Beweis menschlicher Hartnäckigkeit.
Man kann darüber lachen, man kann den Kopf schütteln, man kann Sicherheitsmängel aufzählen, und man wird mit allem sehr viel Recht haben. Aber was ist dieses „Recht”?Man wird eines nämlich nie erklären können: warum dieser Bau von einer anderen Stärke zeugt als die meisten perfekten Gebäude unserer Zeit. Vielleicht weil er zeigt, dass Kraft nicht im Gelingen liegt, sondern im Durchhalten. Dass Würde nicht aus Anerkennung entsteht, sondern aus verantworteter Wiederholung. Und dass es Menschen gibt, die nicht aufhören, selbst wenn alles dagegen spricht. Gerade dann nicht aufhören.
Justo Gallego hat keine Kathedrale gebaut. Er hat der Welt gezeigt, was ein einzelner Mensch vermag, wenn er sich weigert, aufzuhören. Und vielleicht ist genau das der Punkt, an dem selbst Banahliel, der Oberengel jener Legionen, welche bei Baalbeck, den Pyramiden und Salomos Temnpel mithalfen, zustimmend nickt und sagen will: „Jetzt reicht es. Jetzt ist es gut. Jetzt ist es vollendet.” Justo Gallego Martínez wäre vor einigen Tagen einhundert Jahre alt geworden …
Autor:Matthias Schollmeyer |
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