100. Geburtstag
Bert Hellinger
- Bert Hellinger * 16.12.2025
- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
Zum hundertsten Geburtstag Bert Hellingers
Es gibt Lehrer, die man zitiert ohne sie zu kennen, und solche, die man erinnert, weil man sie hat kennen lernen dürfen. Bert Hellinger gehört zu den Letzteren. Man erinnert sich an ihn nicht wie an eine Theorie, sondern wie an eine starke Erfahrung. Er war ein Mann, der im Raum stand und etwas geschehen ließ, das sich nicht ohne Weiteres in Begriffe fassen ließ – und der gerade dadurch die begriffliche Ordnung herausforderte, auf der moderne Wissenschaft so beharrlich ruht.
Heute, am 16. Dezember 2025, hätte Bert Hellinger seinen hundertsten Geburtstag gefeiert. Ein Datum, das weniger nach Jubiläum klingt als nach Rückfrage: Was ist von einem Werk zu halten, das sich der Anerkennung entzogen hat und dennoch wirksam blieb? Was von einem Lehrer, dessen Einfluss man in zahllosen Therapieräumen, Seminaren, Führungsetagen und spirituellen Zirkeln spürt, während man ihn in den Universitäten möglichst vergessen möchte?
Hellinger war kein Akademiker im strengen Sinne, und vielleicht war genau dies seine produktivste Eigenschaft. Er brachte etwas mit, das im universitären Betrieb systematisch verdunstet: eine Aufmerksamkeit für Ordnungen, die nicht konstruiert, sondern vorgefunden werden. Seine Lehre von den „Ordnungen der Liebe“ war keine Theorie im üblichen Sinn, sondern ein tastendes Lesen von Wirklichkeiten, die sich dem Zugriff des Messbaren entziehen. Sie setzte dort an, wo Menschen nicht mehr als Individuen auftreten, sondern als Träger von Geschichten, Schulden, Loyalitäten, die älter sind als sie selbst.
Im Zentrum der Familienaufstellung steht das, was später das „wissende Feld“ genannt wurde – eine Formulierung, die bereits den Anstoß zum Skandal in sich trägt. Denn sie behauptet nichts weniger, als dass Wissen nicht ausschließlich im Subjekt lokalisiert ist, sondern sich zwischen Menschen, in Konstellationen, in Räumen ereignet. Stellvertreter wissen etwas, das sie nicht wissen können. Sie empfinden etwas, das nicht ihr Eigenes ist. Für den akademischen Geist ist dies ein Ärgernis, für den praktischen Beobachter jedoch ein Phänomen.
Man kann dieses wissende Feld als Suggestion abtun, als Gruppendynamik, als psychologischen Trick. Man kann es aber auch – und hier beginnt Hellingers eigentliche Provokation – in eine längere Traditionslinie stellen: zu vormodernen Wissensformen, zu rituellen Ordnungen, zu theologischen Vorstellungen von Stellvertretung, Schuld und Erlösung. Hellinger hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass seine Arbeit von Erfahrungen aus der Missionszeit, von liturgischen Gesten, von archaischen Rechtsvorstellungen geprägt war. Seine Systemik war nie rein psychologisch, sondern immer auch metaphysisch grundiert.
Gerade dies macht ihn für die Universitäten so ungenießbar. Denn dort herrscht ein Wissenschaftsverständnis, das nur anerkennt, was sich operationalisieren lässt. Was sich nicht wiederholen, messen, standardisieren lässt, gilt als nicht existent. Dass es dennoch wirksam sein könnte, ist eine Möglichkeit, die man lieber nicht prüft. Der Ausschluss Hellingers ist daher weniger ein Urteil über ihn als eine Selbstbeschreibung des akademischen Systems: Es schützt sich, indem es nur das gelten lässt, was ihm ähnlich ist.
Hellinger selbst hat diesen Ausschluss nicht bekämpft. Er hatte etwas Gelassenes im Umgang mit Ablehnung, vielleicht auch etwas Unerbittliches. Er verstand sich als Lehrer, nicht als Diskussionspartner. Seine Aufstellungen waren keine demokratischen Prozesse, sondern Akte konzentrierter Autorität. Das ist kritisierbar, und es ist kritisiert worden. Aber auch hier gilt: Man muss ihn an dem messen, was er wollte, nicht an dem, was man von ihm erwartet.
Sein Einfluss auf das Denken in Systemen ist kaum zu überschätzen. Er hat eine Sprache geprägt, Bilder geliefert, Blickrichtungen geöffnet. Selbst dort, wo man sich von ihm distanziert, arbeitet man noch mit seinen Kategorien. Wer heute von Verstrickung spricht, von Loyalität, von Ausschluss, spricht – bewusst oder unbewusst – in seiner Nachfolge.
Vielleicht wird man Hellinger eines Tages nicht mehr als Therapeuten lesen, sondern als Symptom und als Lehrer einer Übergangszeit: einer Epoche, in der die Wissenschaft an ihre Grenzen stieß und andere Wissensformen wieder hörbar wurden. Dass er unbequem blieb, gehört zu seiner Würde. Dass er nicht integriert wurde, zu seiner Wirkung.
Große Lehrer passen selten in die Institutionen, die sie hervorbringen sollen. Sie stehen quer, sie sprechen schief, sie wirken dort, wo man sie nicht kontrollieren kann. Bert Hellinger war ein solcher Lehrer. Und dass man hundert Jahre nach seiner Geburt noch immer über ihn streitet, ist vielleicht das deutlichste Zeichen dafür, dass er etwas berührt hat, das sich nicht so leicht zum Schweigen bringen lässt.
Autor:Matthias Schollmeyer |
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