Johannes
Der Unbeugsame
- Johannes tauft Jesus
- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
Johannes der Täufer gehört zu jenen Gestalten der religiösen Geschichte, die sich jeder Glättung widersetzen. Man kann ihn nicht dekorativ an den Rand der Weihnachtsgeschichte stellen, nicht gefahrlos in liturgische Formeln einpassen und schon gar nicht psychologisch entschärfen. Er ist kein freundlicher Mahner, kein spiritueller Coach avant la lettre, sondern eine Zumutung. Und gerade darin liegt seine eigentümliche Wirksamkeit. Johannes ist der Vorläufer Jesu Christi nicht, weil er ihm zeitlich vorausgeht, sondern weil er den Raum bereitet, in dem Wahrheit dann überhaupt hörbar werden kann. Er ist der Mann, der stört, damit etwas Neues eintreten kann.
Schon die Ankündigung seiner kommenden Geburt ist ein Bruch. Während die Welt der Antike voll war von Göttergeschichten, in denen Zeugung und Geburt spektakulär, erotisch oder gewaltsam inszeniert werden, ist die biblische Erzählung von Johannes’ Ursprung eigentümlich spröde und zugleich tief symbolisch. Zacharias, der Vater, ist Priester – also Teil des religiösen Apparats. Elisabeth, die Mutter, ist unfruchtbar, jenseits der biologischen Hoffnung. Das Neue beginnt nicht mit jugendlicher Vitalität, sondern aus Erschöpfung, aus dem, was eigentlich vorbei ist. Als der Engel die Geburt ankündigt, reagiert Zacharias nicht mit fröhlicher Ekstase, sondern mit nachdenklicher Skepsis. Und diese Skepsis wird nun auch wortwörtlich: Er verstummt.
Die Stummheit ist kein Strafakt im moralischen Sinn, sondern ein Zeichen. Das Alte – die routinierte Gerede über Gott – muss schweigen, damit etwas anderes sprechen kann. Erst bei der Geburt des Kindes, als der Name „Johannes“ gegen alle Tradition durchgesetzt wird, kehrt die Sprache zurück. Nicht der Vater bestimmt den Namen, nicht die Linie, nicht das Herkommen, sondern ein göttlicher Einspruch. „Johannes“ heißt: Gott ist gnädig. Und genau diese Gnade erscheint nun in einer Gestalt, die alles andere als sanft wirkt.
Johannes wächst heran als Fremdkörper. Die Evangelien beschreiben ihn nicht als integrierten Tempelpriester, sondern als Wüstenbewohner. Kamelhaarmantel, Ledergürtel, Heuschrecken und wilder Honig – das ist keine folkloristische Staffage, sondern bewusste Provokation. Johannes lebt wie Elija, der große Störenfried Israels. Er verweigert sich der kultivierten Religion. Keine Opfer, keine Liturgie, keine Theologie. Stattdessen: Stimme. Ruf. Dringlichkeit.
Die Wüste ist dabei kein romantischer Ort der Einkehr, sondern der Raum der Entblößung. Wer zu Johannes kommt, muss aus der Sicherheit der Städte heraus. Man verlässt die Ordnung, um sich der Wahrheit auszusetzen. Und die Wahrheit, die Johannes verkündet, ist unerbittlich einfach: „Kehrt um.“ Nicht: optimiert euch. Nicht: fühlt euch besser. Sondern: richtet euer Leben neu aus, denn etwas Entscheidendes steht bevor.
Das Erstaunliche ist: Die Menschen kommen. Nicht wenige, nicht zufällig, sondern in Scharen. Soldaten, Zöllner, einfache Leute. Johannes übt eine merkwürdige Anziehung aus, gerade weil er nichts anbietet, was angenehm wäre. Er verspricht keine Lösung, sondern stellt Fragen. Und er bleibt nicht abstrakt. Wer ihn fragt: „Was sollen wir tun?“, bekommt keine spirituellen Allgemeinplätze, sondern konkrete, soziale Antworten. Der Zöllner soll nicht mehr nehmen als ihm zusteht. Der Soldat soll nicht erpressen. Der Reiche soll teilen. Johannes ist kein Mystiker der Innerlichkeit, sondern ein Prophet der Konsequenz.
Seine Tauftätigkeit am Jordan ist dabei kein sakrales Ritual im späteren christlichen Sinn, sondern ein öffentliches Zeichen der Neuorientierung. Wasser – das Element des Übergangs, des Todes und des Neubeginns – wird zum Ort einer Entscheidung. Johannes zwingt die Menschen, sichtbar zu werden. Man kann nicht heimlich umkehren. Man steigt ins Wasser, vor aller Augen.
Damit greift Johannes das religiöse Establishment frontal an. Denn er erklärt faktisch den Tempel für unzureichend. Vergebung ist nicht mehr an Opfer und Institution gebunden, sondern an Wahrheit und Umkehr. Dass die religiösen Eliten reagieren, ist unausweichlich. Johannes nennt sie „Schlangenbrut“ – ein Wort, das jede diplomatische Brücke abbricht. Er entlarvt ihre Selbstsicherheit als Illusion. Abstammung von Abraham genügt nicht. Religion schützt nicht vor Gericht.
Und dann geschieht das Entscheidende: Jesus selbst kommt zu Johannes. Der, auf den Johannes vorbereitet, tritt in seinen Wirkungsraum ein. Die Begegnung ist theologisch hochbrisant. Johannes, der Rufer, tauft den, den die christliche Tradition als sündlos bekennt. Johannes selbst zögert. Und doch geschieht es. Nicht, weil Jesus Reinigung nötig hätte, sondern weil er sich einreiht in die Bewegung der Umkehr. Johannes erkennt: Seine Aufgabe ist nicht Vollendung, sondern Übergabe. „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“ Das ist keine falsche Demut, sondern klare Selbsteinordnung. Johannes weiß, dass er nicht das Ziel ist. Der Umstand, dass er Jesus taufen darf, besiegelt seine Autorität, Notwendigkeit und ist sozusagen die Ordination als hoch wichtige Figur innerhalb der christlichen Theologie.
Gerade darin also liegt seine Größe. Er hält die Spannung aus, nicht der Messias zu sein, obwohl ihn viele dafür halten. Er verweigert die Rolle, die ihm Macht verschaffen würde. Und doch bleibt er unbequem. Auch gegenüber der politischen Macht. Herodes Antipas z.B. lebt in einer Ehe, die gegen das Gesetz verstößt. Johannes schweigt dazu nicht. Er kritisiert es öffentlich. Prophetie wird hier konkret und damit gefährlich.
Die Konsequenz ist Gefangenschaft. Johannes wird eingesperrt, aus dem öffentlichen Raum entfernt. Die kritische Stimme wird wieder zum Schweigen gebracht. Und selbst hier im Kerker bleibt Johannes der Fragende. Aus dem Gefängnis heraus schickt er Boten zu Jesus mit der Frage: „Bist du der, der kommen soll?“ Diese Frage ist kein Zweifel im banalen Sinn, sondern die letzte Zuspitzung prophetischer Redlichkeit. Johannes verlangt keine Ideologie, sondern Wirklichkeit. Jesu Antwort ist kein dogmatisches Bekenntnis, sondern der Verweis auf das, was geschieht: Blinde sehen, Lahme gehen, Arme hören die gute Nachricht.
Der Tod des Johannes ist dann von einer beinahe grotesken Banalität. Kein Martyrium im heroischen Sinn, sondern da war so ein Bankett … Macht, Langeweile, verletzte Eitelkeit. Herodes tanzt nicht, sondern lässt tanzen. Die schöne Salome wird zum Instrument. Herodias - Uttyp des toxischen Weibes - wird zur treibenden Kraft in Richtung des Schicksals. Der Kopf des Propheten wird auf einer Schale wird gefordert - und serviert. Das ist ein Bild, das sich einbrennt. Wahrheit endet hier nicht in Verklärung, sondern in brutaler Absurdität.
Und doch ist Johannes nicht gescheitert. Sein Erfolg liegt nicht im Überleben, sondern in der Wirkung. Er hat die Menschen vorbereitet, nicht beruhigt. Er hat Erwartungen zerstört, um Hoffnung möglich zu machen. Er hat gezeigt, dass Wahrheit ihren Preis hat – und dass sie dennoch gesagt werden muss. Sehr unangenehm …
Johannes der Täufer ist damit keine Figur der Vergangenheit. Er ist eine Anfrage an jede Religion, die bequem geworden ist. An jede Kirche, die lieber moderiert als unterbricht. An jeden Glauben, der Konflikt vermeidet. Johannes erinnert daran, dass Gott nicht nur tröstet, sondern aufrüttelt. Dass Gnade nicht billig ist. Und dass der Weg zum Christus nicht an der Wahrheit vorbeiführt.
Er ist der Mann vor der Tür. Der Rufer im Dazwischen. Der, der nicht bleibt, aber notwendig ist. Ohne Johannes kein rechtes Christusverständnis. Ohne Umkehr keine Nähe. Und ohne unbequeme Stimmen keine Zukunft des Glaubens.
Autor:Matthias Schollmeyer |
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