Literatur in Kriegszeiten
"Wörter erstarren in mir"

Foto: pexels.com/Sumit Mathur

Ukrainische Literaten in Lebensgefahr, russische Autoren unter Druck - der Krieg Putins gegen die Ukraine hat Auswirkungen auch auf die internationale Literaturszene. Wie geht die Literatur- und Verlagswelt in Deutschland damit um?

Von Renate Kortheuer-Schüring 

Buchhandlungen, Literaturhäuser und Verlage in Deutschland bekunden in diesen Tagen ihre Solidarität mit der Ukraine. Vielerorts gibt es Lesungen ukrainischer Autoren und Autorinnen oder zumindest ihrer Texte, Diskussionen und #standwithukraine-Bekundungen in Blau-Gelb - wie jüngst beim Lesefest lit.cologne in Köln. Zugleich haben ukrainische Literaturverbände Forderungen erhoben, russische Literaten und Literatinnen zu boykottieren.

Deutsche Verlage und auch die Frankfurter Buchmesse setzen auf die Macht der Literatur für Frieden und Freiheit; ukrainische Autoren sollen helfen, die Tragödie ihres Landes hierzulande zu begreifen.
Einfach ist das Unterfangen nicht.

«Wir verstärken unser Engagement für die ukrainische und belarussische Literatur», sagte die Lektorin für osteuropäische Literatur beim Suhrkamp Verlag, Katharina Raabe, auf einer Veranstaltung vergangene Woche im Literaturhaus Stuttgart. «Es gibt auf der ganzen Welt jetzt ein riesiges Interesse an diesen Büchern.» So schrecklich es sei, dass es dazu den Krieg brauche, so gut sei es, dass die Werke ukrainischer Autoren nun gelesen würden.

Ukrainische Literatur

Eine Auswahl von Werken ukrainischer Autorinnen und Autoren, die ins Deutsche übersetzt wurden:

* Andrej Kurkow: Graue Bienen. Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2019. Der Bienenzüchter Sergej lebt im Donbass, wo ukrainische Kämpfer und prorussische Separatisten Tag für Tag aufeinander schießen. Sergej will sich raushalten, im Frühling bricht er auf, um seine Bienen in eine friedlichere Gegend zu bringen. Der wohlorganisierte Bienenstaat wird zum Gegenmodell eines im Chaos versinkenden Landes. Eindringlicher, sanfter und lyrischer Stil.

* Tanja Maljartschuk: Blauwal der Erinnerung. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019. Eine junge Frau im Exil sucht Halt, indem sie die Biografie des 1931 gestorbenen ukrainischen Volkshelden Wjatscheslaw Lypynskyi recherchiert. In seiner Vergangenheit sucht sie nach Spuren, um besser mit ihrer eigenen Gegenwart zurecht zu kommen. In dem melancholischen und zugleich humorvollen Roman sind die Themen Entwurzelung und ukrainischer Unabhängigkeitskampf miteinander verflochten.

* Katja Petrowskaja: Vielleicht Esther. Roman. Suhrkamp, Berlin 2015. Leidenschaftlich und poetisch erzählt Katja Petrowskaja die Geschichte ihrer eigenen jüdischen Familie über mehrere Generationen hinweg bis zum Völkermord der Nationalsozialisten an den Juden von Kiew. Sie holt die Opfer, die namenlosen Toten, aus der Anonymität.
Esther, von der nicht einmal sicher ist, dass sie so hieß, ähnelt der Urgroßmutter der Autorin.

* Serhij Zhadan: Internat. Roman. Suhrkamp, Berlin 2018. Eine Odyssee zwischen zwei Fronten im Donbass: Ein junger Lehrer will seinen 13-jährigen Neffen aus dem Internat am anderen Ende der Stadt rausholen, das unter Beschuss geraten ist. Packend und düster schildert Zhadan, wie sich eine vertraute Umgebung in ein unheimliches apokalyptisches Territorium verwandelt. Er erzählt aber auch von Menschen, die Angst und Zerstörung Selbstbehauptungswillen und Verantwortung entgegensetzen.

Der Präsident des Schriftstellerverbands PEN Ukraine, Andrej Kurkow, appellierte an die westlichen Verlage, so viele Bücher aus der Ukraine wie nur möglich zu publizieren, sowohl Literatur als auch Sachbücher. Nur so könnten die deutschen Leser die Geschichte der Ukraine, vor allem in Bezug auf Russland, verstehen lernen, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Suhrkamp, Diogenes und viele andere, oft kleine Verlage versuchen derzeit Kontakt zu ihren Autoren und Autorinnen im Kriegsgebiet zu halten - aber auch zu den russischen. Einen Boykott russischer Bücher, wie ihn vor einigen Tagen ukrainische Literatur-Verbände forderten, lehnt Katharina Raabe ab. Suhrkamp arbeite teils seit Jahrzehnten mit russischen Autoren und Verlagen zusammen, die für Demokratie und Freiheit in Russland gekämpft hätten, da komme man nicht auf die Idee, ihnen kein Platz mehr im Regal einzuräumen.

Auch PEN Ukraine hatte einen Boykott russischer Autoren und Autorinnen, Bücher und Verlage gefordert. Zur Begründung hieß es, in viele Bücher sei russische Propaganda eingesickert. Führende Mitglieder des Moskauer PEN unterstützten Putin, erklärte Kurkow.
Russische Autoren, die sich gegen Putin und den Krieg stellten, seien allerdings zu unterstützen.

Bei deutschen Verlagen, aber auch in den USA und Frankreich, stößt der Boykottaufruf auf Skepsis und Widerstand. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels zeigte zwar Verständnis für die Ukrainer, wollte aber die russischen Verlage nicht in «Kollektivhaftung» nehmen. Die russische Literatur, auch der Gegenwart, sei «ein zu wichtiges Gut, als das sie einer militärischen Eskalation geopfert werden dürfe», hieß es in einer Stellungnahme. Der deutsche PEN-Präsident Deniz Yücel erklärte: «Der Feind heißt Putin, nicht Puschkin, Tolstoi oder Achmatowa.»

Russische Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Ljudmila Ulitzkaja, Viktor Jerofejew und Wladimir Sorokin äußerten sich kritisch über das Kreml-Regime und den Krieg. Und unter dem Motto #SkipPutin verurteilen noch viele andere russische und belarussische Autorinnen und Autoren den Überfall auf die Ukraine; zugleich forderten sie, die Kommunikation aufrechtzuerhalten. Das russische Volk werde belogen, es müsse «die Wahrheit über die russische Aggression gegen die Ukraine» erfahren.

Die Frankfurter Buchmesse will ihre Beziehungen zu russischen Verlagen beibehalten. Man stehe im regelmäßigen Austausch mit dem Buchinformationszentrum (BIZ) in Moskau, hieß es. Das BIZ halte sich mit politischen Äußerungen zum Ukrainekrieg zurück, die Bandbreite der Verlage dort reiche von «Systemkritik bis Putin-Sprachrohr».

Für die Buchmesse ist der Lizenzhandel mit Russland nach eigenen Angaben nicht unwichtig: Russland steht demnach auf Platz drei der wichtigsten Lizenznehmer deutscher Verlage, mit knapp 540 Abschlüssen im Jahr 2020. Von der diesjährigen Buchmesse ausgeschlossen werde lediglich der staatlich finanzierte russische Nationalstand.

Ukrainische Schriftsteller und Schriftstellerinnen erheben unterdessen ihre Stimme gegen die russische Invasion. Einige wie Katja Petrowskaja, die in Georgien lebt, schreiben in deutschen Feuilletons und diskutieren auf Podien. Der Autor Serhij Zhadan, der in Charkiw geblieben ist, soll sich der Zivilverteidigung angeschlossen haben.

Viele Autoren führten Tagebuch, schilderten ihre Erlebnisse in den belagerten Städten und veröffentlichten sie, sagte die Kiewer Verlegerin Kateryna Mishchenko in Stuttgart. Die Künstler dokumentierten die Zerstörung im Land und prangerten die Kriegsverbrechen der Putin'schen Truppen an.

Die Erfahrung, dass der Krieg Dichter auch verstummen lassen kann, macht unterdessen die in Wien lebende ukrainische Autorin Tanja Maljartschuk: «Ich bin keine Schriftstellerin mehr», schrieb sie kürzlich im Schweizer «St. Galler Tagblatt»: «Wörter erstarren in mir, sie sterben ab, gehen zugrunde mit jeder weiteren Rakete, die meine Welt beschießt und zerfetzt.»

(epd)

Autor:

Online-Redaktion

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