In Venedig sind auch viele Kirchengemeinden vom Hochwasser betroffen
Wenn die Sirene ertönt

Foto: Mara Bounous
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von Bernd S. Prigge

Die dramatischen Meldungen aus Venedig halten an. Nach dem Hochwasserrekord von 187 cm am 12. November, bei dem rund 80 Prozent der gesamten Stadt unter Wasser standen, kam die Serenissima auch anschließend nicht zur Ruhe. Für die Venezianer gehören in diesen Tage die Sirenen zur Hochwasserankündigung zum Alltag. Anhand der Tonhöhe des Alarms können sie erkennen, wie hoch das Wasser steigen soll. Und jeder Einwohner weiß genau, ab wann das Wasser im eignen Hausflur steht, die Calle unpassierbar wird oder der Arbeitsplatz nicht mehr zu erreichen ist. Doch die Sirenen-Tonleiter ist schon längst bei 140 cm angelangt, ein höherer ist nicht vorgesehen. Der nun gemessene Wasserstand ist der höchste seit 1966. Damals drückte der Südwind, Schirokko genannt, stundenlang das Wasser in die Lagune bis zum traurigen Maximum von 194 cm. Da stand Venedig völlig unter Wasser mit irreparablen Schäden.
Besonders tragisch diesmal: Während die Venezianer ihre Gebäude kaum wieder trocken bekommen und die Pumpen sowie Lüfter tagelang laufen lassen müssen, posieren Touristen auf dem überfluteten Piazza San Marco und anderswo. Für sie ist es der ultimative Kick ihrer Venedigreise. “Schöne Katastrophe“, nennt das eine deutsche Journalistin in Venedig. Die Touristen machen die Bilder ihres Lebens, finden es putzig, in einem überfluteten Restaurant mit Gummistiefeln Cappuccino zu trinken, während die Venezianer putzen.
Betroffen vom Acqua alta, wie man in Italien sagt, sind auch die meisten Kirchen Venedigs. Während die Basilika San Marco mit ihrer Krypta regelmäßig unter Wasser steht, weil sie an einem der tiefsten Punkte der Stadt liegt, wurden diesmal auch fast alle anderen Kirchen in Mitleidenschaft gezogen. Die Messen mussten in höher gelegene Gotteshäuser oder Gemeindehäuser verlegt werden. Der Patriarch von Venedig veröffentlichte ein Gebet mit einem von den Venezianern verehrten Bild der Gottesmutter Maria und bat um Bewahrung. Die Madonna aus byzantinischen Zeiten hängt in der symbolträchtigen Basilika Santa Maria della Salute. Die Kirche wurde als Dank nach der großen Pestepidemie von 1630 gebaut und ist heute Wahrzeichen der Stadt.
Die Waldensergemeinde musste ihren Gottesdienst ausfallen lassen, weil die Kirche immer noch knöchelhoch im Wasser steht. Außerdem ist auch ihr Gästehaus betroffen. Die Foresteria und der für Waldenser typische schlichte Kirchraum sind im Palazzo Cavagnis untergebracht. Maria Bounous, Herbergs-Direktorin, hatte alle Gemeindeglieder zur Mithilfe aufgerufen, die Kirche zu säubern. Doch dann hatte sich schon ein weiteres Hochwasser angekündigt und die Aktion wurde verschoben.
In die lutherische Gemeinde am Campo Ss. Apostoli ist ebenso Wasser gedrungen, wie Pfarrer Johannes Sparsbrod berichtet. Doch im Untergeschoss des Kirchenpalazzo befindet sich nur die Sala für Gemeindetreffen mit wenig Mobiliar. Der Kirchraum im ersten Stock blieb verschont. Der Geistliche hat selbst Hand angelegt und das Wasser weggewischt. Nur ein gerade neuangeschaffter Kühlschrank ist durch das Acqua Alta kaputt gegangen. So viel Glück hatte sein katholischer Kollege, Raffaele Muresu, am selben Campo nicht. Die Kirche der Heiligen Apostel (Chiesa dei Santi Apostoli) liegt tiefer und die Bänke stehen im Wasser. Alle Messen wurden in die Nachbarkirche San Felice verlegt.
Noch sind die Schäden in den Kirchen und anderen Gebäude nicht abzusehen. Die Gefahr ist für die historischen Palazzi dann am höchsten, wenn das Meerwasser trocknet und das Salz die Steine „sprengt“. Auch Kirchenbänke, die stundenlang im Wasser stehen, sind nicht immer zu retten.
Kritiker meinen, dass das Acqua Alta in Venedig auch hausgemacht ist. Für die großen Kreuzfahrtschiffe werde die Lagune ständig vertieft, was zu einem schnelleren Wasserfluss führe. Ausweichflächen im Fall von Hochwasser wurden zudem umgenutzt. Das schon seit 2003 begonnene Sperrwerk „MOSE“, das die Stadt vor Überflutung schützen soll, funktioniert noch nicht. Schon über 5 Milliarden Euro wurden verbaut. In Deutschland spricht von dem „italienischen BER“. Die Fertigstellung wurde schon einige Male verschoben.
Was nicht in der Presse steht ist, dass auch viele Venezianer mit einer Wohnung im Erdgeschoss mit dem Wasser zu kämpfen haben. Aufgrund der hohen Mieten und Kaufpreise haben viele Einwohner auf eine günstigere Variante zurückgegriffen und eine Wohnung im Untergeschoss einfach ein wenig höher legen lassen und bewohnbar gemacht. Früher waren allenfalls Lager oder Geschäfte Parterre untergebracht. Doch die galoppierenden Marktpreise haben den normalverdienende Venezianer erfinderisch machen müssen. Doch von den nun Betroffenen geht kaum einer an die Öffentlichkeit. Zu groß ist die Scham, die prekäre Wohnsituation zu zeigen.
Eine gute Nachricht zum Schluss: Nach dem Ausfall des Unterrichts haben sich viele hundert Schüler aufgemacht, die Stadt aufzuräumen. Als „Angeli“, Engel, werden sie bezeichnet. Die Flut lässt die Stadt zusammenrücken.
Die sehr kleine Waldensergemeinde ist besonders betroffen von dem Hochwasser und hat zu Spenden aufgerufen:
Chiesa Valdese e Metodista di Venezia
IBAN: IT22I0306902127100000001215
SWIFT/BIC: BCITITMM

Autor:

Online-Redaktion

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