Israel (Teil 1)
Visionen für das Heilige Land
- Auf dem Jerusalemer Tempelberg, wo sich Al-Aqsa-Moschee, Feldsendom und Klagemauer befinden, sind die Ansprüche der Religionen an das Land in Stein gemeißelt.
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Israel: Die Zweistaatenlösung wird mit dem aktuellen Nahostkonflikt wieder zum Thema. Die einen erklären sie für tot, die anderen fordern sie unablässig. Doch wie realistisch ist die Umsetzung, und was sind die Alternativen? Zunächst ein Rückblick.
Von Helmut Frank
Drei Monate nach Beginn seiner Offensive gegen die Hamas im Gazastreifen hat Israel seine Kriegsziele noch nicht erreicht. Noch immer befinden sich die israelischen Geiseln in den Händen der Terroristen, noch immer fliegen aus Gaza Raketen auf israelische Dörfer. Sicher ist, dass die islamistische Hamas nach dem Gazakrieg nicht mehr die Rolle spielen wird wie vor ihrem terroristischen Angriff auf Israel am 7. Oktober. Doch ebenso sicher ist, dass der Nahostkonflikt militärisch nicht zu lösen ist. Wie kann es also nach dem Krieg weitergehen?
Darüber herrscht angesichts der verfahrenen Situation weitgehend Ratlosigkeit. Trotzdem – oder gerade deswegen – ist die Zweistaatenlösung wieder in aller Munde. US-Präsident Joe Biden bringt bei jeder Gelegenheit die Zweistaatenlösung ins Spiel. Die Bundesregierung setzt ebenfalls auf das Modell. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock forderte bei ihrem Besuch im Krisengebiet, nun doch endlich die Zweistaatenlösung umzusetzen. Auch bei den Kirchen steht die Zweistaatenlösung hoch im Kurs. Der Vorsitzende des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK), Heinrich Bedford-Strohm, mahnt sie unablässig an.
Für eine Zweistaatenlösung – ein unabhängiger Staat Palästina neben dem Staat Israel westlich des Flusses Jordan – gab es gleich mehrere Anläufe. Seit 1991 scheiterten damit jedoch alle Verhandlungsrunden in unterschiedlicher Besetzung von UN, USA, EU, Sowjetunion und arabischen Staaten. Der Misserfolg hat eine mehr als hundertjährige Vorgeschichte. Sie beginnt mit dem Zerfall des Osmanischen Reichs nach dem Ersten Weltkrieg. Dessen arabische Provinzen wurden zwischen Großbritannien und Frankreich aufgeteilt.
Die Vorgeschichte
Nach einem Beschluss des Völkerbundes sollte in einem Fünftel des britischen Gebiets »eine nationale Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina« eingerichtet werden – das spätere Israel. Die anderen vier Fünftel – das also wesentlich größere Gebiet östlich des Jordans – wurden 1923 den nach Unabhängigkeit strebenden muslimischen Arabern zugesprochen. Aus dem Gebilde Transjordanien entstand später das Königreich Jordanien.
Damit wäre im Prinzip die Zweistaatenlösung realisierbar gewesen – nur dass es jetzt zwar einen Palästinenserstaat gab, aber kein Israel, keine Heimstatt für die Juden. Westlich des Jordans existierte nun das britische Mandatsgebiet Palästina. Dort lebten seit biblischen Zeiten Juden, weitere kamen dazu, getragen von der Idee des Zionismus, und kauften von den Arabern Land.
"Auch bei den Kirchen steht die Zweistaatenlösung hoch im Kurs. Der Vorsitzende des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK), Heinrich Bedford-Strohm, mahnt sie unablässig an"
Gleichzeitig versuchten in dem Gebiet arabische Nationalisten, ein unabhängiges Großarabien zu schaffen – unterstützt von Islamisten. Die jüdische Bevölkerung geriet dort immer mehr zwischen die Fronten, ein eigener Staat rückte immer weiter in die Ferne.
Im April 1920 griffen Araber – unter Mithilfe der arabischen Polizei – in Jerusalem erstmals Juden an, plünderten jüdische Geschäfte, töteten und verletzten jüdische Anwohner. Das britische Militär griff nicht ein. Im Mai 1921 wurden bei arabischen Ausschreitungen 43 Juden in Jaffa ermordet. Aber auch auf arabischer Seite gab es 48 Tote. Einen Höhepunkt erreichten die Judenpogrome mit dem arabischen Aufstand von 1936 – eine Reaktion auf die zunehmende Einwanderung von europäischen Juden infolge der Verfolgung unter dem Nationalsozialismus.
Um die Lage zu entschärfen, legten die Briten einen weiteren Teilungsplan vor. Ein Großteil Palästinas sollte den Arabern, der kleinere Teil mit den meisten jüdischen Siedlungen den Juden zugeteilt werden. Vertreter der jüdischen Bevölkerung stimmten dem Plan zu, um so viele verfolgte Juden wie möglich retten zu können. Der mit den Nationalsozialisten verbündete Großmufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, lehnte 1937 den Plan ab und verlangte, ganz Palästina zu einem arabischen Staat zu machen – judenfrei, »from the river to the sea«. Er erklärte mit einer Fatwa das gesamte britische Mandatsgebiet zum Eigentum der Muslime, Gegner dieser Position ließ er ermorden. Die arabischen Nationen rief er dazu auf, ihre Länder von Juden zu befreien. Die zweite Chance für eine Zweistaatenlösung war an islamistischem Hass gegen Juden gescheitert.
Nach dem Krieg half Husseini im Exil in Kairo einem Verwandten bei seinem Aufstieg zum Palästinenserführer: Yassir Arafat. Ob als Terrorist oder später als Staatsmann und Friedensnobelpreisträger – Arafat brachte alle Vorstöße zu einer Zweistaatenlösung zum Scheitern. Er bemerkte rasch, dass sich aus dem Opferstatus des palästinensischen Volks (das er im Übrigen erfand) politisches und finanzielles Kapital schlagen lässt. Er sollte nicht der letzte Palästinenserführer bleiben, der seinem Volk am Tropf internationaler Alimente die Entwicklung verweigerte.
Teilungsplan scheitert
Die dritte große Chance für die Zweistaatenlösung ergab sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem UN-Teilungsplan von 1947. Vom verbliebenen Fünftel des britischen Mandatsgebiets sollten jetzt nur noch rund 56 Prozent der Fläche – davon zwei Drittel unfruchtbare Wüste – der jüdischen Bevölkerung zugesprochen werden. 1920 war noch vom ganzen Gebiet die Rede gewesen. Dennoch akzeptierte die Jewish Agency, eine Art Vorgängerregierung des Staats Israel, den Teilungsplan der Vereinten Nationen. Die Araber lehnten wieder ab. Sie verlangten das ganze Gebiet für sich.
Nur einen Tag nach der Unabhängigkeitserklärung wurde Israel am 15. Mai 1948 von fünf benachbarten arabischen Staaten angegriffen. Nach anfänglichen Niederlagen konnten die jüdischen Kämpfer – darunter viele Überlebende des Holocaust – einen Teil der den Palästinensern im Teilungsplan zugewiesenen Gebiete erobern.
Der Kampf um die Unabhängigkeit hatte allerdings seinen Preis. Infolge des Kriegs wurden rund 750 000 muslimische Araber zu Flüchtlingen. Aber auch über 600 000 Juden mussten nach Pogromen und staatlichen Repressionen die arabischen Staaten verlassen, die Israel angegriffen hatten. Als Minderheit hatten sie dort seit fast zwei Jahrtausenden gelebt und waren Teil der reichen kulturellen Geschichte dieser Länder.
Bei den arabischen Flüchtlingen sind bis heute die Fluchtursachen umstritten. Ein Teil der Bevölkerung floh aus Angst vor den Kampfhandlungen, ein Teil wurde wohl von jüdischen Soldaten aus ihren Dörfern vertrieben. Erwiesen ist inzwischen auch, dass arabische Zivilisten von arabischen Truppen zum Verlassen ihrer Häuser aufgefordert wurden, um im Kampfgebiet härter gegen die verbleibende jüdische Bevölkerung vorgehen zu können.
Sie begaben sich über die Grenze in den Libanon, nach Jordanien, nach Ägypten oder in die arabisch besiedelten Gebiete im Gazastreifen und im Westjordanland. Weil die arabischen Staaten ihnen die Integration verweigerten, wurden sie als Staatenlose in Flüchtlingslagern untergebracht, wo viele ihrer Nachkommen bis heute unter menschenunwürdigen Bedingungen leben. Die Hoffnung auf Rückkehr symbolisieren die alten Schlüssel ihrer Häuser, die von Generation zu Generation weitergegeben werden.
Das Rückkehrrecht der Nachkommen dieser Flüchtlinge war bei jeder Verhandlungsrunde über die Zweistaatenlösung ein Streitpunkt. Heute sind 5,9 Millionen Palästinenser beim UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge registriert. Das Rückkehrrecht von über die Jahre 850 000 vertriebenen Juden aus den arabischen Staaten war dagegen nie ein Thema.
Flüchtlingsproblematik
Infolge der UN-Resolution 194 vom 11. Dezember 1948 erklärte Israel sich bereit, 200 000 bis 300 000 Flüchtlinge zurückzunehmen. Dies lehnten die arabischen Staaten ab. Was damals noch möglich gewesen wäre, ist heute für Israel unmöglich. Die Palästinenser reklamieren ein Rückkehrrecht für 5,9 Millionen Nachkommen der Palästinenser. Eine Integration in das demokratische Staatssystem mit allen Rechten würde die jüdische Bevölkerung zur Minderheit werden lassen, Israel als Heimstatt der Juden wäre mit den nächsten Knesset-Wahlen am Ende.
Die Frage ist auch, ob ein Flüchtlingsstatus über mehrere Generationen vererbbar ist, vor allem nach einem verlorenen Angriffskrieg. Vergleichbar wäre, wenn die Urenkel von vertriebenen Schlesiern den heute in Polen liegenden Gutshof der Familie zurückfordern würden – samt doppelter Staatsbürgerschaft mit allen Rechten.
Gleichwohl hat Israel immer wieder den Palästinensern Land angeboten, um im Gegenzug Frieden und Sicherheit zu bekommen. Nach der Unterzeichnung des israelisch-ägyptischen Friedensvertrags 1979 gab Israel die seit dem Sechstagekrieg 1967 besetzte Sinaihalbinsel an Ägypten zurück. 2005 räumte Israel den besetzten Gazastreifen. Den jüdischen Bewohnern der 21 im Gazastreifen befindlichen israelischen Siedlungen wurde eine Frist von 48 Stunden gegeben, das Gebiet zu verlassen. Wer nicht gehen wollte, wurde vom israelischen Militär zwangsweise entfernt.
Der Autor ist Theologe und Chefredakteur des bayerischen Sonntagsblattes.
Im zweiten Teil (Schluss) lesen Sie dann: Warum Gaza für das Scheitern der Zweistaatenlösung steht. Welche Vorbehalte Israel gegenüber der Zweistaatenlösung hat. Und was es mit der Ein-Staaten-Lösung oder der Drei-Staaten-Lösung auf sich hat.
Autor:Online-Redaktion |
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