Nirgends ein sicherer Hafen

Kein Land in Sicht: Nach einer sechs Tage langen und zermürbenden Blockade auf dem Mittelmeer, in deren Verlauf dem Rettungsschiff selbst Seenot drohte, durfte die »Lifeline« mit rund 230 Flüchtlingen an Bord in Malta anlegen. | Foto: epd-bild
  • Kein Land in Sicht: Nach einer sechs Tage langen und zermürbenden Blockade auf dem Mittelmeer, in deren Verlauf dem Rettungsschiff selbst Seenot drohte, durfte die »Lifeline« mit rund 230 Flüchtlingen an Bord in Malta anlegen.
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Nach sechs Tagen Odyssee im Mittelmeer war das Rettungsschiff »Lifeline« des Dresdner Vereins »Mission Lifeline« letzte Woche in den Hafen von Maltas Hauptstadt Valletta eingelaufen. Zuvor hatten acht EU-Staaten die Aufnahme der mehr als 230 Flüchtlinge an Bord zugesagt.
Von Bettina Gabbe (epd)

Kurz vor der Ankunft der »Lifeline« im Hafen von Malta verlässt ein riesiges Kreuzfahrtschiff den Anleger auf der gegenüberliegenden Mole. Die Passagiere des Ozeanliners sind den Tag über durch die malerische Altstadt von Valletta geschlendert, bevor sie beim Verlassen der Insel am Mittwochabend an dem deutschen Seenotrettungsschiff vorbeifahren. Die Migranten sind knapp eine Woche zuvor vor der libyschen Küste gerettet worden. Sie erreichen Malta nach der langen Fahrt auf der völlig überfüllten »Lifeline« zwar geschwächt, aber sichtlich erleichtert.
Von Polizei und Militär eskortiert, legt ihr Schiff am »Boilers Wharf« gegenüber der Aussichtsterrasse über dem Hafen an, während sie erleichtert den am Ufer stehenden Menschen zuwinken. Weiß gekleidete Sanitäter und Ärzte gehen zunächst an Bord, bevor als erste Frauen und Kinder an Land gehen dürfen.
»Es waren fünf Kinder an Bord«, erzählt Axel Steier, der Mitgründer der Dresdner Hilfsorganisation »Mission Lifeline«. »Eines ist zweieinhalb Jahre alt und es ist allein«, sagt er möglichst sachlich angesichts der Umstände der Reise. Die 17 geretteten Frauen hätten von Vergewaltigungen berichtet. In Libyen gebe es keine sicheren Häfen, betont Steiner. Daher habe die Besatzung zwar alle übrigen Anweisungen der italienischen Küstenwache befolgt. »Außer der einen, nach Tripolis zu fahren.« Denn dort drohten Frauen Vergewaltigungen und Männern Folter. Während drei gerettete Kleinkinder und drei Erwachsene in ein Krankenhaus gebracht wurden, brachten Polizeibusse die übrigen Flüchtlinge in ein Aufnahmelager.
Die Ankunft des Schiffs wirkte nach dem tagelangen Tauziehen um die Genehmigung, in Malta anzulegen, wie ein Gefangenentransport. Kein Außenstehender durfte sich dem Schiff, der Besatzung und den Geretteten nähern. Ein paar Aktivisten begrüßten die Ankömmlinge von einer Mauer oberhalb des Hafens aus und rollten ein Transparent aus mit der Aufschrift »Stoppt den Menschenhandel«. Ein freundliches Willkommen sieht anders aus.Die maltesischen Behörden haben das Schiff unmittelbar nach seiner Ankunft beschlagnahmt.
Der Kapitän der »Lifeline«, Claus-Peter Reisch, muss sich in Malta vor Gericht verantworten. Nach der Anhörung wurde er am Montag gegen eine Kaution von 10 000 Euro und mit Auflagen auf freien Fuß gesetzt. Der Prozess sollte am Donnerstag (nach Redaktionsschluss) fortgesetzt werden.
Das Rettungsschiff bleibt vorerst beschlagnahmt. »Lifeline«-Sprecher Ruben Neugebauer warf den Behörden vor, die Gründe der Anklage seien vorgeschoben, um private Seenotretter an ihrer Arbeit zu hindern. Auch die anderen beiden im Hafen von Malta ankernden Rettungsschiffe »Sea Watch 3« und »Seefuchs« dürfen nicht auslaufen.
Die Flüchtlinge sind an Land, aber ihre Zukunft bleibt ungewiss. Sie sollen nur dann in die acht EU-Länder und das Nicht-EU-Mitglied Norwegen verteilt werden, wenn sie Anrecht auf Asyl haben. Wohin sie andernfalls abgeschoben werden, ließ die maltesische Regierung offen. Dass Deutschland sich nicht bereit erklärte, Gerettete aufzunehmen, nennt der »Lifeline«-Gründer Steier eine »Schande«. Selbst Italien, das künftig keine Flüchtlinge mehr aufnehmen und selbst aus Seenot Geretteten den Zugang zu den Häfen verweigert, beteilige sich.

Hintergrund
Bei Unglücken von Flüchtlingsbooten sind vor der libyschen Küste am Freitag 104 und am Sonntag 114 Menschen ums Leben gekommen, erklärte die Internationale Organisation für Migration (IOM) am Dienstag. Damit ertranken im Juni, als Italien die Häfen für private Rettungsschiffe schloss, die meisten Menschen seit fünf Jahren im Mittelmeer: Insgesamt verloren im Lauf des Monats dort nach UN-Angaben 692 Geflohene ihr Leben. Derweil kritisierte der Kapitän der »Lifeline«, dass die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer der libyschen Küstenwache überlassen wird. Laut seiner Aussage drohte diese der »Lifeline«- Crew bei ihrem letzten Einsatz mit dem Tod und wollte die Flüchtlinge an Bord gewaltsam übernehmen, um sie nach Libyen zu bringen. Die Migrations-Expertin Nicole Hirt kritisierte: »Die Küstenwache besteht aus unterschiedlichen Warlords, die sich den Namen Küstenwache gegeben haben, um Geld von Europa zu kriegen.«
(epd)

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