auf den 25. Juni ...
Tag der Confessio Augustana

Die Sünder im Schatten der Goldschrift
Es war ein milder Tag im Juni. Augsburg anno 1530 - und die Stadt stand unter Spannung wie ein Drahtseil im Sturm. Der Kaiser war gekommen, Karl der Fünfte höchstselbst, in prachtvoller Erscheinung und mit der Unruhe eines Mannes, der mehr Reiche als Stunden am Tag regieren musste. Er wollte Einigkeit im Glauben. Er wollte Ordnung. Er wollte keine Bauernaufstände mehr, keine Zersplitterung, keinen frommen Aufruhr mit Mistgabeln.
Und so traten sie zusammen, die Theologen der sogenannten Reformation. Sie kamen mit dünnen Händen, dicken Manuskripten und dem brennenden Wunsch, als rechtgläubig und reichstreu zu erscheinen. Allen voran Philipp Melanchthon, der milde Mann mit der gelehrten Feder. In einer kleinen Schreibstube, irgendwo zwischen Kanzel und Küche, saßen sie beieinander. Philipp hielt den Gänsekiel über das noch nasse Pergament, während neben ihm Justus Jonas mit den Zähnen knirschte.
„Wir brauchen ein klares Bekenntnis“, sagte Jonas. „Nicht nur zu Christus – sondern gegen jene, die uns allen den Boden unter den Füßen aufweichen.“
„Die Schwärmer?“
„Die Täufer. Die Bilderstürmer. Die Träumer vom Gottesstaat.“
Philipp, der nicht gern urteilte, aber die Zeichen der Zeit verstand, nickte langsam. Und so begannen sie, das zwanzigste Kapitel zu schreiben – oder besser: zu exorzieren.

„Von den Täufern wird gelehret, dass man solche Leute nicht dulden soll…“

Da saßen sie nun um diesen einen Satz. Sie spuckten zwar kein Gift damit – aber sie destillierten den strategischen Hass in Goldschrift. Und sie meinten es nicht einmal böse. Sie meinten es kaiserlich. Denn was ist überzeugender als das Bekenntnis zur Einheit? Die Verfluchung des Geteilten. Und so fanden die lutherischen Väter im Schatten der Concilii und Kathedralen ihre Einigkeit nicht in der Theologie der Liebe – sondern im Ausschluss derer, die noch ärmer, noch radikaler, noch verloren waren als sie selbst. Die Täufer wurden der fremde Körper im Reichsorganismus, der Abszess am Leib der Ordnung. Sie galten als wild, ungebildet, volkstümlich – und gefährlich. Sie tauften die bereits Getauften, verweigerten den Eid, misstrauten der Obrigkeit, träumten von neutestamentlichen Gemeinwesen auf schwäbischem Ackerboden. Und so wurde ihr Ausschluss zum diplomatischen Mittel. Philipp schrieb. Jonas stimmte zu. Spalatin reichte frisches Papier. Der Kaiser wurde milde. Und die Schwärmer wurden verbannt.

Doch nun ein Blick zur anderen Seite der Stadt: Am Rande von Augsburg, dort wo die letzten Rinnsteine in zertrampelte Gärten übergehen, versammelte sich eine kleine Täuferschar. Es waren nur elf oder zwölf – Männer mit Bärten und traurigen Augen, Frauen mit Tüchern und Säuglingen. Sie hatten alles gehört. Sie wussten, dass ihre Namen nicht genannt, aber ihre Seelen verbannt worden waren.

Sie hatten das Pergament nie gesehen. Aber sie spürten die Kälte, die dieses Papier warf ...

Ein Handwägelchen wurde beladen – mit Decken, einem Korb Brot, einem schiefen Holzkreuz. Die jüngste trug ein Buch, das in Lumpen geschlagen war. Sie flüsterten leise – keine Klage, eher eine Art vorsichtiger Psalm. Und dann verließen sie die Stadt. Nicht durch das Tor, sondern über einen seitlichen Pfad, der quer über ein frisch gepflügtes Feld führte. Der Himmel war bleigrau. Die Erde weich. Sie stapften dahin – die Kinder der Verachtung – über das Ackerland, das wie eine große, wartende Zunge aus Lehm unter ihren Füßen lag. Sie stolperten, sie hielten sich aneinander, sie fluchten nicht. Einer sang.

Von oben, aus einem Fenster des Dominikanerklosters, beobachtete sie ein Novize. Er hatte von der Confessio gehört, aber dies hier – das war die eigentliche Konfession. Sie bestand nicht aus Artikeln. Sondern aus Schritten.

Und so endete der Tag, an dem das große Bekenntnis verlesen wurde – mit einem kleinen Auszug. Und einer Frage, die keiner hörte: Wen muss man heute verdammen, um zusammenzuhalten?

Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer

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