»Gott ist wie eine Adlermutter«

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Mal angenommen: Wenn Gott weniger wie Bruce Willis, dafür etwas mehr wie Meryl Streep ist, verändert das den Glauben und die Kirche?
Von Stefanie Bock

Na klar. Gott ist ein alter Mann mit langem weißem Bart. Ein Vater eben. Ein Gottvater. Doch ist das wirklich so? Würdevoll sieht der Greis mit seinem grauweißen Haar und dem langen Bart aus. Kraftvoll streckt er seinen rechten Zeigefinger Adam entgegen, um ihn zum Leben zu erwecken.
Der Gottvater, von Michelangelo an die Decke der Sixtinischen Kapelle in Rom gemalt, ist genau der Gott, den Millionen Menschen sehen, wenn sie die Augen schließen – Bilderverbot hin oder her.
Kein Zweifel, dieser Gott hat alles im Griff. Zampano-Gott nennt ihn die Theologin Antje Schrupp. Einer, der als Chef im Himmel sitzt und Anweisungen erteilt. Einer, der am Ende des Tages dafür sorgen wird, dass die Guten gewinnen und die Bösen ihre gerechte Strafe bekommen. In den Gottesdiensten loben und preisen Christen sonntäglich diesen Typ Gottvater. In den Kindergottesdiensten hören die Kleinen Geschichten vom Herrn, und Schüler diskutieren über den Allmächtigen. Man müsse keine Feministin sein, um zu sehen, dass diese Gottesvorstellung einem patriarchalen, männlichen Selbstverständnis entsprungen ist, kritisiert Schrupp.
In aufgeklärten Kreisen mag es mittlerweile gängig sein, Gott als etwas anderes als den alten Mann mit weißem Bart zu sehen. Die Verfasser und Verfasserinnen der »Bibel in gerechter Sprache« haben nach Alternativen gesucht: die Ewige, der Lebendige zum Beispiel. Oder sie empfehlen, Begriffe fremder Sprachen wie Adonaj oder Elohim zu verwenden. »Fremde Wörter für die Transzendenz einzusetzen, die wir nur als Klang hören, nicht aber einer Bedeutung zuordnen können, das hat den Vorteil, dass die Wörter uns die Unverfügbarkeit des Göttlichen bewusst machen«, schreibt die Schweizer Theologin Ina Praetorius.
Doch diese Vorschläge stießen bei vielen auf Spott und Kopfschütteln. Gott als geschlechtsneutrales Wesen ist eben nur in kleinen Nischen zu Hause. »98 Prozent halten dieses Thema für ein unwichtiges Luxusproblem«, sagt Schrupp. Weil ein geschlechtsneutraler Gott schwer vorstellbar ist, wird im kirchlichen Alltag weiter fleißig die männliche Variante verwendet.
Für den deutsch-israelischen Historiker Michael Wolffsohn ist klar: »Ist Gott nun männlich oder weiblich? Er ist alles. Er ist sowohl männlich als auch weiblich. Er ist Singular und er ist Plural.« Theologin Praetorius bringt es in einem Facebook-Post auf den Punkt: »ER kann nicht weiblich sein. Nicht mal, wenn ER Gott ist. Nur SIE ist weiblich.« Genau das Gleiche passiert, wenn Gottes Wirken in Metaphern beschrieben wird. Fleißig wird hier nach männlichen Eigenschaften, nach männlichen Namen gesucht. »Wenn Gott männlich ist, dann ist das Männliche Gott«, schrieb einst Mary Daly, katholische Theologin in den USA, und wandte sich von der Kirche ab.
Besonders hartnäckig hält sich das Bild des »Herrn«. Rund 6 000 Mal ist in deutschsprachigen Bibeln vom Herrn die Rede. Obwohl in den griechischen und hebräischen Originaltexten das Göttliche mit einem bunten Strauß an Bezeichnungen tituliert wird. Vor 2 000 Jahren war die Bezeichnung »Herr« für Gott etwas Revolutionäres. Nicht jeder Mann wurde damals als Herr angesprochen. Die wenigen, die so genannt wurden, hatten Macht. Wenn nur Gott der wahre Herr des Menschen ist, dann war das für die weltlichen Herren ein Affront. »Von einer solchen sozialkritischen Bedeutung ist aber heute, wo eben jeder beliebige Mann als ›Herr‹ angesprochen wird, nicht mehr viel übrig«, kritisiert Schrupp.
Hanne Köhler, Pfarrerin in Rüsselsheim und Mitherausgeberin der Bibel in gerechter Sprache, pflichtet ihr bei: »In einer Welt, in der unter anderem jeder Mitarbeiter der Müllabfuhr mit ›Herr‹ angeredet wird und reale Könige nur noch repräsentieren und in der Regel keine Macht mehr haben, sind einige der gängigen patriarchalen traditionellen Worte für Gott reichlich anachronistisch.«
Gabriele Scherle, bis vor kurzem Pröpstin für Rhein-Main, stört sich nicht an der Bezeichnung »Herr«. »Ich konnte immer etwas anfangen mit Gott als Herrn, und zwar als Herrn der Herren, als die Begrenzung der Herrschenden. Das will ich nicht aufgeben.« Doch die Art und Weise, wie Menschen über Gott sprechen, beeinflusst ihren Glauben. »Denn wenn Gott als Herr und allmächtiger Vater imaginiert wird, muss seine ausbleibende Hilfe als Urteil über die Menschen verstanden werden. Unglück ist dann kein Unglück, sondern eine Strafe Gottes. Bei so einem Gott bleibt den »Menschen in der Tat nur die Unterwerfung oder die Rebellion«, so Schrupp.
Wo ist er, der allmächtige Retter, wenn in Syrien Kinder erschossen werden? Warum schützt der Herr nicht vor Naturkatastrophen? Ähnlich sieht das der Alttestamentler Frank Crüsemann: »Dort, wo Gott aber wirklich nach einem männlichen Bild gestaltet und entsprechend vorgestellt wird, entsteht ein Monster, an das man nicht glauben kann.«
Stellen wir uns doch Gott mal als Frau vor. »Wenn Gott aber nicht Bruce Willis, sondern Meryl Streep wäre? Also keine, die wie ein strenger Vater droht: ›Wehe, du hörst nicht auf mich, dann gibt es Hausarrest!‹, sondern eine, die warnt: ›Zieh dir lieber etwas Warmes an, sonst wirst du dich noch erkälten‹«, so Antje Schrupp.
Gott als fürsorgliche Mutter schwebt auch Scherle vor. »Gott ist wie eine Adlermutter, trägt die Jungen auf den Flügeln und lässt sie los, damit sie fliegen lernen, kommt aber immer wieder unter sie, um sie aufzufangen«, beschreibt sie eine Geschichte über Gott, die eine große Bedeutung für sie habe. Gott als Frau zu denken, ist für Antje Schrupp nur ein Zwischenschritt. Ein Schritt, um die feste gedankliche Verankerung von Gott als Mann zu lösen und um die »Stelle Gottes frei zu räumen von allen menschlichen Projektionen«. Denn Gott sei eine Leerstelle.
Doch, wie lässt sich das Bild des »Michelangelo-Gott« aus den Köpfen der Menschen tilgen? Antje Schrupp ist da pessimistisch. Durch Einüben, sagt Hanne Köhler. Sie bemüht sich, in selbstverfassten Texten Verben zu verwenden, um von Gott zu erzählen, spricht ihn mit »Du« an. »Herr« oder »Allmächtiger« kommen in ihren Texten nicht vor. Einzige Ausnahme: »Wenn ich etwas zitiere, dann kann ich das selten abändern.«
Anregungen für ihre Formulierungen holt sie sich aus Gottesdienstmaterialien. Klasse fände sie es, wenn die Kirche bei Großereignissen oder Fernsehgottesdiensten und im Theologiestudium verstärkt ebenfalls darauf zurückgreifen würde.
Köhler ist da hoffnungsvoll: »Es wäre doch wunderbar, wenn Menschen sich trauen würden anders und für sie und ihren Alltag relevanter von Gott zu reden.«

Autor:

Online-Redaktion

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