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Versprechen genügen nicht

- Christian Dietrich
- Foto: Jürgen M. Pietsch
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Am 7. Juni wurde in einem Bußgottesdienst mit Landesbischof Friedrich Kramer und Regionalbischof Tobias Schüfer Jürgen Hauskeller die Hand zur Versöhnung gereicht (die Kirchenzeitung berichtete).
Von Christian Dietrich
„Was wir hier erleben, das hat etwas kirchenhistorisches an sich.“ so brachte Jürgen Hauskeller im Gottesdienst am Pfingstsonntag in Zella-Mehlis auf den Punkt, was gerade geschah. Vor über 50 Jahren war Jürgen Hauskeller Pfarrer an der Stadtkirche in Zella, die für viele Jugendliche zu einem lebenswichtigen Sozialisationsort geworden war. Hier bekamen jugendliche Musiker neben Edda Cameron eine Aufführungsmöglichkeit und feierten viele Kirchenfernen Gottesdienste mit.
Das brachte dem Pfarrer jedoch viele Feinde ein, gerade unter denen, die Macht hatten. Er galt als Verbrecher, der aus politischen Gründen nicht ins Gefängnis gesteckt werden konnte. Die Stasi organisierte deshalb andere Wege, um ihn zu entfernen. Mit Unterstützung der Kirchenleitung gelang ihr das auch wenig später. Doch auch am neuen Ort, in Sondershausen, macht der Pfarrer die gleichen Erfahrungen und als er 1992 mit Hilfe seinen Stasiakten die Täter sichtbar machen konnte, nahm seine Kirche ihn nicht zum Partner der Aufarbeitung, sondern erklärte ihn zum Nestbeschmutzer. So wiederholte sich, was in Zella-Mehlis begann.
Im barocken Zentralbau zu Zella-Mehlis beteten wir den Psalm 51 und die Bischöfe Friedrich Kramer und Tobias Schüfer benannten vor Gott und der Gemeinde die Schuld der Kirche. Sie baten um Vergebung und am Abend vor seinem 88. Geburtstag ging Jürgen Hauskeller darauf ein. Nach einer tiefen Stille sang er: „Da berühren sich Himmel und Erde“. Nach und nach stimmten viele in der Kirche mit ein. Ich musste die erste Zeile des Liedes mitdenken: „Wo Menschen sich vergessen, die Wege verlassen, und neu beginnen, ganz neu.“ Im Geiste Gottes ist dies möglich.
Gut, dass es diesen Gottesdienst gab und zu erfahren war: Kirche ist ein Ort der Schuldvergebung. 2017/18 wurde Pfarrer Hauskeller durch Politik und Öffentlichkeit geehrt. Nun folgte seine Kirche.
Die Bischöfe sagten: Dienstrechtliche Mittel wurden gegen einen kirchlichen Mitarbeiter, der ins Visier der Staatssicherheit geriet, verwendet. Doch dienstrechtliche Mittel gegen ihre Macht missbrauchende Mitarbeiter wurden selten genutzt. Diese mangelhafte Rechtskultur hat der Kirche nachhaltig geschadet.
Jürgen Hauskeller erzählte, wie tief der Vertrauensbruch bis heute fortwirkt. Die fehlende Verurteilung derer, die Mitchristen verrieten, kann nicht mit Versprechungen, wie "Nächstenliebe verlangt Klarheit", kompensiert werden. Es braucht ein „Neubeginnen“.
Der zu Pfingsten nicht zitierte Satz aus dem Bußwort von 2017 würde dann historisch: "Bis heute übernehmen wir als Kirche nicht die nötige Verantwortung für Menschen, die unter Mithilfe oder nach Verrat aus kirchlichen Kreisen inhaftiert, gedemütigt, traumatisiert oder zur Ausreise gedrängt wurden.“
Der Autor ist Pfarrer und früherer Thüringer Landesbeauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.


Autor:Online-Redaktion |
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