Weihnachtlicher Blick auf das Universum
Stille Nacht?

Foto: epd-bild/Friedrich Stark

Wenn der Himmel spricht, geschieht das mitunter ganz still. Das ist paradox. "Stille Nacht" wird nach "O du fröhliche" gesungen und die "stade", also stille Zeit des Jahres, kann manchmal ganz schön laut sein.

Von Edgar S. Hasse

Über dem Bergland glänzt der winterliche Sternenhimmel in schönster Pracht. Fernab von den Großstädten Erfurt, Halle, Magde-burg und Dessau leuchtet das Firmament, ohne dass der Menschen künstliches Licht die Milchstraße flutet. Wo tiefe Nacht herrscht wie auf den Bergeshöhen, weit weg von Einkaufsstraßen und Flughäfen, und keine Lichtverschmutzung das Antlitz des gestirnten Himmels verstellt, stehen wir staunend unter dem unendlichen Zelt mit der Venus am südwestlichen Horizont und dem rund ums Weihnachtsfest weiter schrumpfenden Mond. Und siehe, da fühlen wir mitten im Dunkeln, wie winzig wir sind im schier grenzenlosen Gefunkel.

Während alles geschäftige Treiben am Heiligen Abend pausiert, viele Menschen lang ersehnte Stunden heimeliger Ruhe finden wollen und das Fest in den eigenen vier Wänden geradezu „abgeschirmt“ (Klaus-Peter Hertzsch) wird von der Welt da draußen, wundert sich das Universum über die irdische Sehnsucht nach der Stillen, Heiligen Nacht. So wird sie im berühmten Lied aus dem österreichischen Oberndorf bei Salzburg besungen. Denn Gott hat das All derart geschaffen, dass in allem ewigen Werden und Vergehen stets und ständig Stille währt, weil es da oben keine Luft gibt, die Schallwellen zum Schwingen bringen könnte. Das Universum lebt und webt also aus der Stille eines Vakuums. Sterne kennen keinen Lärm. Ganz anders als unsere Erde, der „Blaue Planet“.

Seit es uns Menschen gibt, die wir laute Geräusche produzieren, schauen wir mit Demut auf die Erhabenheit des nächtlichen Himmels und seiner Gestirne. Sie können Seefahrer über die Weltmeere geleiten und haben die Schöpfer der Himmelsscheibe von Nebra vor gut 3600 Jahren (oder weniger) zu einem eindrucksvollen Kunstwerk inspiriert. Die Zeichen des Himmels waren es auch, welche die Heiligen Drei Könige aus dem so genannten Morgenland – sie waren wohl allesamt weise (nicht: weiße), alte Männer – nach Bethlehem zum Ort der Geburt des Krippenkindes führten (Matthäus 2, Vers 9).


"Es geht lautlos zu im Stall wie im Vakuum des Alls"

Ob es in jener wirklichen „Zeitenwende“, in der Gott Mensch wurde, tatsächlich eine Himmelserscheinung im mucksmäuschenstillen All gab, ist in der astronomischen Forschung umstritten. Aber der italienische Astronom Ferrari d’Occhieppo (1907–2007) vertritt diese These: Am 12. November im Jahr 7. v. Chr. gab es eine nur alle 856 Jahre vorkommende Konjunktion zwischen Jupiter, dem Stern der höchsten babylonischen Gottheit, den diese heidnischen Magier verehrten, und Saturn, dem kosmischen Repräsentanten der Juden, im Sternbild der Fische. Dabei strahlte Jupiter ein so starkes, fokussiertes Licht aus, dass der Kegel beständig auf dieselbe Stelle des Horizonts verwies – vermutlich Richtung Geburtsort.

Wenn Gott der Schöpfer des Alls ist, dann sind diese geheimnisvollen Zeichen am Himmel vor mehr als 2000 Jahren ebenso aus der ewiggleichen Stille geboren wie Jesus Christus selbst. „Stille Nacht, heilige Nacht! Alles schläft, einsam wacht / Nur das traute, hochheilige Paar.“

Wer nämlich die Weihnachtsgeschichte bei Lukas im zweiten Kapitel liest, entdeckt die göttliche Stille, weil nicht berichtet wird, dass irgendjemand etwas sagt, sondern Maria, Josef und sogar das neu geborene Baby einfach nur schweigen. Es geht lautlos zu im Stall (Ochs und Esel kamen in der Tradition erst später dazu) wie im Vakuum des Alls.

Maria sagt nichts. Josef sagt nichts; er hatte auch nicht viel zu sagen. Selbst der Urschrei des neuen Erdenbewohners wird von Lukas nicht überliefert. Und das, obwohl jeder Mensch, der geboren wird, schreit.

Stattdessen durchdringt eine eigentümliche Stille den ersten Teil der Weihnachtsgeschichte mit der Schilderung der Geburt unseres Heilandes. Sodann wird sie erfüllt von der beredsamen „Klarheit des Herrn“. Bis der Engel die Ruhe mit dem Ruf „Fürchtet euch nicht!“ erfüllt und die Menge der himmlischen Heerscharen die Friedensbotschaft verkündet.

Aus göttlicher Stille ist die Weihnachtsgeschichte geschrieben worden, sagt der Theologe Ernst Fuchs (1903-1983). Während die Heilige Familie schweigt, spricht der Himmel. Auch das Krippenkind „sagt nichts, es kann nichts sagen und braucht auch nichts zu sagen, weil es selbst Wort, Gottes ganzes Wort ist.“

Der Fingerzeig Gottes mit der einzigartigen Sternenkonstellation in der Stille des Universums und die Stille der Heiligen Nacht, in der einzig und allein der göttliche Himmel spricht – das sind für mich bedeutsame Zeichen dafür, wie Gott uns erreichen will. Mit einer Mystik, wie sie etwa Elisabeth von Thüringen (1207-1231) in der Einheit von innerer Christusfrömmigkeit und äußerer Barmherzigkeit (Nächstenliebe) vorgelebt hat. Erst in der Stille entsteht mitten in der Zeit der Raum, in dem wir uns selbst und Gott begegnen und mit neuer Kraft aktiv für andere werden können.

Es ist eine Stille, die wir auch und gerade im turbulenten weihnachtlichen Familienfest suchen sollten, zum Beispiel mit der „Schrift allein“ beim meditierenden Lesen der biblischen Weihnachtsbotschaft in der wirkmächtigen Übersetzung Martin Luthers. Da ist die Hoffnung, dass wir Spuren der göttlichen Stille erfahren mögen, aus der Gott das Universum schuf und die lukanische Weihnachtsgeschichte geschrieben ist.

Göttliche Stille möge auch bei einem Weihnachtswunder die Kriegsfronten auf der Welt erfassen. Dass die Waffen schweigen, wie einst am 24. Dezember 1914 an den Schützengräben in Flandern zwischen deutschen, französischen, englischen und belgischen Soldaten. Anfangs war es im deutschen Lager nur ein einzelner Soldat, der „Stille Nacht, heilige Nacht“ sang. Danach antworteten die Briten „Merry Christmas, Englishman“. Fortan schwiegen die Waffen auf beiden Seiten dieser Front. Und die Soldaten, die das erlebt hatten, waren dort nicht mehr imstande, auf die anderen zu schießen.

Der Autor ist Journalist, promovierter Theologe und Kreuzfahrtseelsorger. 
Der gebürtige Zeitzer lebt in Hamburg. 

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