Friedensethik
Bittere Erkenntnis: Wir werden in jedem Falle schuldig

Kirchenpräsident Joachim Liebig auf der Synode in Großkühnau | Foto: Johannes Killyen
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Der anhaltische Kirchenpräsident Joachim Liebig hat sich in der Debatte um Waffenlieferungen für die Ukraine hinter den Friedensbeauftragten der EKD, den mitteldeutschen Landesbischof Friedrich Kramer, gestellt.

Von Katja Schmidtke

Liebig erklärte in seinem Bericht an die Anhalt-Synode: Es "kann vom Friedensbeauftragten der EKD nur erwartet werden, eine biblisch begründetet Friedensethik vorzulegen, die freilich an den Realitäten zu prüfen ist. Gleichzeitig müssen die Befürworter von Waffenlieferungen die Risiken in aller Deutlichkeit benennen". Liebig warnte in Fragen von Krieg und Frieden vor einfachen Lösungen.

Die evangelische Friedensethik der vergangenen Jahre habe deutlich den Pazifismus betont: Stichworte wie "Weg der Gewaltfreiheit" oder "aktiver Gewaltverzicht" und der Aufruf, militärische Gewalt zu überwinden, prägten die Debatte. Die evangelische Friedensethik legte in ihrer biblischen Begründung Grundsätze, die heute aber nicht mehr unwidersprochen seien. "Unbeantwortet bleibt in diesem Zusammenhang die Frage nach dem legitimen Selbstverteidigungsrecht – in diesem Falle des ukrainischen Volkes. Unbeantwortet bleibt ferner die langsam aufkeimende Erkenntnis, gegen eine in einem langfristigen Geschichtskonzept angelegte imperialistische Grundausrichtung einer atomar bewaffneten Weltmacht die Konsequenzen aus einem vollständigen Gewaltverzicht sehr genau prüfen zu müssen und gegebenenfalls in ihrer möglicherweise auch schrecklichen Eindeutigkeit zu diskutieren." Der Kirchenpräsident erinnerte in seinem Bericht an die Menschen in der Ukraine und in anderen Krisen- und Kriegsgebieten der Erde, zum Beispiel in Mali und Syrien. "Besonders mit Blick auf die Opfer ist unsere Fürbitte von unüberbietbarer Bedeutung."

Liebig, der Mitglied des seit Sommer 2021 ausgesetzten Gesprächsforums Petersburger Dialog ist, kritisierte auch die Vereinnahmung des Glaubens in der russischen Begründung des Angriffskriegs. Die erneute Inanspruchnahme theologischer Argumente sei furchtbar. Zu keiner Zeit würde dies dem Willen Gottes entsprechen, stets sei der Glaube so für die Sünde in Anspruch genommen und damit zutiefst konterkariert worden.

Egal, wie sich Kirchen in diesen Tagen friedens-ethisch positionieren, all dies könne in die "bittere Erkenntnis münden, in jedem Falle schuldig zu werden: Ein radikal pazifistisches Votum birgt ebenso schuldhaftes Versagen in sich wie das Zugeständnis letztlich militärischer Gewalt zur Selbstverteidigung", so Liebig.
Die Jahreslosung "Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen" aus dem Johannesevangelium (Kapitel 6, Vers 37) sei unerwartet aktuell und erinnere daran, dass Menschen auch in der gefallenen Welt bei Gott barmherzig Zugang finden. Liebig sagte, die derzeitige Barmherzigkeit der Solidarität mit den Geflüchteten aus der Ukraine habe einen bitteren Beigeschmack, weil sie nicht in gleicher Weise für Geflüchtete aus anderen Teile der Welt gelte. "Auch hier müssen wir uns selbstkritisch fragen, ob Barmherzigkeit tatsächlich teilbar ist. Für Gott ist sie es nicht – für uns Menschen offensichtlich schon."

Geertje Perlberg, Pastorin der Dessauer Johannisgemeinde, dankte Liebig. "Ich bin sehr froh, dass Sie die Friedensethik aufrufen, weil sie sonst auf der Synode gar kein Thema gewesen wäre", sagte sie.

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