der heilige Nikolaus
Bischof von Myra

Nikolaus von Myra gehört zu jenen Gestalten, in denen sich Geschichte und Gedächtnis, Faktum und Verheißung mit- und ineinander verschränken. Wer diesem Mann theologisch begegnen will, muss sich von der Vorstellung lösen, Heiligkeit fordere eine Art historisch-biographischen Beweisgang. Vielmehr ist Heiligkeit ein Raum, in dem die Kirche über die Zeiten hinweg das wiedererkennt, was Christus im Menschen aufstrahlen lassen will. Gerade deshalb ist es kein Zufall, dass die historischen Konturen des Bischofs von Myra namens Nikolaus nur in Umrissen greifbar sind. Ein Name und ein Amt in Zeiten tiefster Erschütterung – mehr gibt uns die Antike nicht sicher an die Hand. Und doch: Gerade die Armut an Fakten hat die Fülle archetypischer Erinnerungen in Gang gesetzt.

Die frühesten Zeugen sprechen von einem Bischof, der im 4. Jahrhundert in Lykien wirkte. Er war einer jener Hirten, die die Wirren der diokletianischen Verfolgung überstanden und die junge Kirche durch gefährliche Jahrzehnte führten. Über sein Wirken schweigen die zeitgenössischen Quellen – und dennoch erwuchs ihn betreffend schon bald ein Ruf, der die nüchterne Geschichte überstieg. Nikolaus ward zum wunderbaren Mann, der dem Armen beistand, den Gedemütigten aufrichtete, den Bedrängten half. Diese Gestalt ist nicht erfunden, sondern geboren aus dem unauslöschlichen Eindruck, den ein Bischof eben hinterlässt, wenn er durch eigenes Wirken das sichtbar werden lässt, was man Gnade nennt.

Später füllte das Gedächtnis der Kirche die Lücken mit Bildern: vom nächtlichen Gold, das wie ein stilles Evangelium den drei Töchtern eines armen Mannes durchs Fenster fällt; von den unschuldig Verurteilten, denen die Hand des Bischofs das Leben rettet; von Knaben, die im Dunkel der Welt verloren zu gehen drohen und durch die Gegenwart des Heiligen wieder heimfinden. Diese Szenen entstammen nicht der Chronik, sondern der Logik des Herzens, das in Nikolaus die Gestalt des barmherzigen Christus erkennt. Und darin liegt keine Täuschung, sondern eine tiefere Wahrnehmungsweise: Die Legende spricht von einer Wahrheit, die historisch nicht belegt werden muss, um geistlich gültig zu sein.

So ist Nikolaus zu dem geworden, was er bis heute bleibt: eine Ikone der Nähe Gottes. Die Völker haben ihn in ihre Häuser aufgenommen, Kinder seinen Namen mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Freude ausgesprochen, und selbst die großen Umdeutungen der Neuzeit – der Wandel zum winterlichen Gabenbringer, zum Schokoladenhohnkörper, seine Transformation in kulturelle Figuren – haben den inneren Kern nicht zerstören können. Denn inmitten aller volkstümlichen Umformungen steht unbeirrbar die Ahnung: Hier ist ein Mensch, in dem die Güte Gottes Gestalt angenommen hat.

Wenn die Kirche am 6. Dezember also das Gedächtnis des Heiligen Nikolaus feiert, erinnert sie nicht an einen sensationellen aber etwas verschroben wirkenden alten Mann, sondern an die stille Durchlässigkeit eines menschlichen Herzens für Gott. Nikolaus ist darum weniger der Held wundersamer Geschichten als das Bild eines Lebens, das zeigt, was es heißt, wenn das Evangelium im Menschen Wohnung zu nehmen beginnt – unaufdringlich, zugewandt und frei von Konventionen. In einer Zeit, die sich oft nach greifbaren Sicherheiten verzehrt, lädt er ein, jene andere Art von Gewissheit neu zu entdecken: dass der Mensch dort am wahrsten wird, wo er sich verschenkt.

Autor:

Matthias Schollmeyer

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