Erinnerung: 70 Jahre Kirchentage in Ost und West – eine Zeitreise
Vertrauen wagen – DDR Kirchentage

Der Schmied Stefan Nau 1983 beim Kirchentag in Wittenberg
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Insgesamt 50 regionale Kirchentage hinter der Mauer. Zentrale Kirchentage waren tabu, weil der Staat DDR vor vielen Christenmenschen an einem Ort Angst hatte. 1962 ging es in Schwerin und Stralsund los bis zum Kirchentag in Leipzig 1989. Die meisten Besucher hatte der Kirchentag im Juli 1983 in Dresden – 100000 Menschen wurden bei der Abschlussveranstaltung dieses regionalen Kirchentages gezählt.
„Vertrauen wagen“ – das Motto für sieben regionale Kirchentage 1983 war politischer Affront. Kam fromm daher und war revolutionär. An dem Wittenberger Kirchentag können wir noch heute exemplarisch ablesen, was Kirchentage im Osten waren.
Alles, was die meist zwei- bis dreitägigen Kirchentage nutzten, war ausschließlich zum „innerkirchlichen Dienstgebrauch“ bestimmt und deswegen jedes Liederheft nach Genehmigung der staatlichen Behörden zu stempeln. Und doch wurden auch andere Lieder gehört und gesungen – mit Begeisterung ohne Genehmigung. Denn Kirchentage waren immer gemeinsame Liedertage für Ost und West.
Als Gerhard Schöne in Wittenberg wegen Zahnschmerzen nicht singen konnte, sprang Fritz Baltruweit samt Studiogruppe ein. Natürlich sangen wir auch mit Peter Janssen, visionär inspiriert von Wegwerfdosen, die wir noch gar nicht hatten, von blühenden Mandelzweigen unter dem Himmel, der über allen auf geht. Die östliche Lederszene war fromm und politisch mit Theo Lehmann und Stefan Krawzik, mit Barbara Thalheim und Wolf Biermann.
1983: Martin Luthers 500. Geburtstag. Die Staatsführung balancierte und schwankte zwischen dem Gedenktag zum 100. Todestag von Karl Marx und den Luther-Feierlichkeiten. Das hatte was. Kirchentage waren eines der seltenen Refugien für offene Dialoge. Umweltschutz, Atomkraft, das DDR-Strafrecht – alles wurde debattiert. Der konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung hatte hier ein Zuhause. Vorgedacht von Menschen wie Propst Heino Falcke – gerade ist er 90 Jahre geworden. Nicht jeder Programmpunkt stand im Programmheft. Selbst Kirchenleitende wurden überrascht.
Mit dem Motto „Vertrauen wagen“ hatte sich die kirchliche Friedensbewegung durchgesetzt. Infolge des Nato-Doppelbeschlusses vom 12. Dezember 1979 und der Diskussion um den Wehrkundeunterricht in allgemeinbildenden Schulen seit 1978 war das Symbol Schwerter zu Pflugscharen hoch politisch: Was am 24. September 1983 als abendliche Feier im Kerzenlicht mit Textlesung angekündigt war – entpuppte sich als Feier am Schmiedefeuer. Der Schmied Stefan Nau hatte ein Schwert in seiner eigenen Schmiede hergestellt, das er in eine Pflugschar umschmiedete.
Bis heute singt der gesamtdeutsche Kirchentag das Credo der kleinen Schritte des ostdeutschen Liedermachers Gerhard Schöne: Alles muss klein beginnen.
Christian Fuhrmann

Der hier gekürzte Beitrag war Teil des Festes "70 Jahre Kirchentag" in Dortmund. Der Autor ist Leiter des Gemeindedezernats der EKM. 

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